Während der letzten zehn Jahre sind eine schier unüberschaubare Menge an Reformen und Veränderungen an den Hamburger Schulen vorgenommen worden. 2006 wurde das Konzept der „Selbstverantworteten Schule“ (SvS) beschlossen, zugleich wurde ein Orientierungsrahmen Schulqualität, Schulinspektionen sowie Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen Schulen und Behörde eingeführt. Mit Einführung der SvS wurden die zentralen Personalräte für die einzelnen Schulformen abgeschafft und ein Gesamtpersonalrat (GPR) für alle Schulformen eingeführt. 2008 folgte die Einführung von Lernstandserhebungen, 2010 von kompetenzorientierten Bildungsplänen, 2012 schließlich die Einführung flächendeckender Leistungserhebungen (KERMIT) sowie eine zweite Fassung des Orientierungsrahmens Schulqualität. 2010 wurde zudem die Gründung des Sondervermögens Schulbau Hamburg vollzogen. Im Folgenden werfen wir einen Blick zurück auf die Einführung der SvS.
Selbstverantwortete Schule – Unternehmen Schule
Die Schulgesetz-Änderung von 2006 sah tief greifende Veränderungen im Hamburger Schulwesen vor. Mit der flächendeckenden Einführung der Selbstverantworteten Schule (SvS) sollte eine überwiegend betriebswirtschaftliche Steuerung von Schulen und Bildungsprozessen endgültig erzwungen werden. Vorbild der Bildungspolitik der CDU-Regierung unter von Beust (2001-2010) waren betriebliche Führungsstrukturen in der Privatwirtschaft. Wesentliche Voraussetzungen für diesen kompletten Umbau des Bildungswesens waren von Behörde, Bürgerschaft und Senat bereits auf dem Gesetzes- oder Verordnungswege getroffen worden: Die Lehrkräfte-Arbeitszeitverordnung, die Einführung von zentralen Tests/Abschlussarbeiten und der Einstieg in die Kostenpflichtigkeit von Bildung (VSK, Büchergeld).
Die GEW Hamburg setzte sich intensiv mit der Novelle auseinander und beschloss auf der Landesvertreterversammlung (Vorgängerin des Gewerkschaftstages) im April 2006, die Gesetzesnovelle und den damit verbundenen Umbau des Hamburger Schulwesens abzulehnen. Die zentralen Eckpunkte der Novelle:
- Schulleiter werden Manager für Personal und Finanzen
In der Schulgesetznovelle bekam die Schulleitung eine zentrale Bedeutung. Die SchulleiterInnen tragen seitdem „die gesamte Verantwortung für die Funktionstüchtigkeit und Fortentwicklung der Schule“ und wurden dazu mit „angemessene(n) Entscheidungs- und Delegationskompetenzen“ ausgestattet. So ist die Schulleiterin bzw. der Schulleiter verantwortlich für das Personalbudget und wird dazu angehalten, die „zur Verfügung stehenden Personalmittel flexibler als bisher (zu) handhaben“.
Es ist leicht erkennbar, dass die Aufforderung zu Einsparungen in der selbstverantworteten Schule auf Kosten der Kollegien geht. Hier wurde das Instrumentarium bereitgestellt, mit dem der Schulleiter/die Schulleiterin den bevorstehenden Ressourcenmangel durch schulinterne Kürzungen aufzufangen hat. Die Einzelschule gerät unter den ständigen Druck der Flexibilisierung der Arbeitsvorgänge, der Verbilligung einzelner Sektoren schulischer Tätigkeiten und damit der weiteren Verdichtung der Arbeit.
Die „weitgehenden Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in der Bewirtschaftung ihrer Sachmittel“ (Budgethoheit ab 2008) wurden allerdings wieder eingeschränkt durch die parallel verlaufenden Prozesse der Auslagerung des Gebäudemanagements aus den Schulen. Eine Fülle neuer Verwaltungsaufgaben kam mit dem Personalmanagement und dem Finanzmanagement auf die Schulen und ihre SchulleiterInnen zu. Es war bereits damals überhaupt nicht abzusehen, wie diese zahlreichen zusätzlichen Aufgaben – hinzu kamen noch die Begleitungen der Fusionen der beruflichen Schulen sowie der Neubauten – bei der bestehenden Ressourcenausstattung von den Schulen bewältigt werden soll. Es besteht die Gefahr, dass dies nur zulasten der Pädagogik umgesetzt werden kann.
Die GEW lehnte in ihrem Beschluss diese „Konkurrenz zwischen den Schulen ab. Mängel schulischer Arbeit aufgrund knapper Ressourcen dürfen nicht auf SchulleiterInnen und Personal abgewälzt werden. Deshalb fordert die GEW für neue Aufgaben an den Schulen zusätzliche Ressourcen oder die Reduzierung jetzt bestehender Aufgaben an den Schulen“.
- Einführung eines Orientierungsrahmens und von Schulinspektionen
Zwei zentrale Elemente des Schulreformgesetzes stellen der Orientierungsrahmen und die geplante Schulinspektion dar. Ersterer engt die „Qualität der Arbeit“ an den Schulen auf messbare und quantifizierbare Einheiten ein und widerspricht damit der Auffassung der GEW von einer komplexen Aufgabe der Schule, die emotionale, soziale und emanzipatorische Lernziele einschließt. Der Orientierungsrahmen berücksichtigt diese Aspekte schulischer Arbeit jedoch ebenso wenig wie die Bedingungen, die die Kollegien für ihre Tätigkeit an den Schulen vorfinden. Bezeichnenderweise gehören zu den „Gelingensbedingungen“ im Orientierungsrahmen nicht einmal die Kurs- und Klassenfrequenzen.
Die Schulinspektion, der die Aufgabe zugewiesen wurde, die „schulische Entwicklungen und Leistungen“ zu überprüfen, ist entsprechend borniert angelegt. In der Anlage dient die Schulinspektion zur Disziplinierung und zur Durchsetzung und Verschärfung des betrieblichen Rechnungswesens an den Schulen. Die GEW sah „in dieser Anlage den Einstieg in die Einführung von Kennziffern in der Schule und in ein betriebliches Rechnungswesen, mit dem langfristig die Pädagogik an den Schulen entwertet wird und sowohl eine Disziplinierung der Schulen, als auch ein Privatisierungsprozess ermöglicht werden soll. Die GEW lehnt den eingeschränkten Bildungsbegriff, der dem Orientierungsrahmen zugrunde liegt und das Instrument der Schulinspektionen entschieden ab.“
- Einführung von Ziel- und Leistungsvereinbarungen auf der Basis des Orientierungsrahmens
Ziel- und Leistungsvereinbarungen werden zwischen Behörde (Schulaufsicht) und SchulleiterInnen geschlossen und sind gekennzeichnet durch die Ziele, wie sie der Orientierungsrahmen Schulqualität festlegt. Die Gremien (Lehrerkonferenz und Schulkonferenz) werden in ihren Entscheidungsspielräumen beschnitten. Selbstverantwortung jedoch muss für alle gelten. Zielvereinbarungen können nicht stellvertretend für LehrerInnen und SchülerInnen abgeschlossen werden. Zum einen setzt das einen intensiven Abstimmungsprozess in den jeweiligen Schulen mit allen Beteiligten – PädagogInnen, Eltern, SchülerInnen, nicht-pädagogisches Personal – voraus und zum anderen muss eine solche Vereinbarung auch Verpflichtungen der Behörde enthalten. Wie kann z.B. die Schulabbrecherquote verringert werden, wenn die Klassenfrequenzen vergrößert und die Stellenzuweisungen reduziert werden? § 90 regelt, dass ein Schulleiter Beschlüsse von Lehrerkonferenz oder Schulkonferenz beanstanden und für nichtig erklären kann, wenn sie Ziel- und Leistungsvereinbarungen aus seiner Sicht widersprechen. Das bedeutet im Klartext, dass auch Ziel- und Leistungsvereinbarungen abgeschlossen werden können, die nicht die Zustimmung der Gremien in der Schule haben. Die Ziel- und Leistungsvereinbarungen werden so zu einem Kontrollinstrument der Behörde, die über die Schulleitung direkt in die Schule hineinregiert. Sie kontrolliert auch die Erfüllung der in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen festgelegten Kennziffern. Dazu dient ihr die vierjährige Schulinspektion, die sich – neben den Ziel- und Leistungsvereinbarungen – als ein weiteres Kontrollinstrument entpuppt.
Zunehmende Arbeitsverdichtung und Leistungsdruck
Die vorgesehenen Änderungen vervollständigten das Konzept selbstverantwortlicher Schulen in weiten Teilen: Die Schulen bekamen nach und nach die volle Verantwortung aufgedrückt, während sich die Behörde weiter alle Steuerungsmöglichkeiten vorbehielt. Mit den Änderungen wurden allen KollegInnen Arbeitsbedingungen diktiert, unter denen Druck und Belastung auf mindestens drei Ebenen weiter zunahmen:
- Unterrichtsarbeit
Eine permanente Drucksituation in der pädagogischen Arbeit durch Ziel- und Leistungsvereinbarungen, Schulinspektion und eine verstärkte Outputkontrolle (Kennziffern, Benchmarks) hat die physische und psychische Belastung weiter erhöht.
- Kollegiale Zusammenarbeit
Unterschiedliche Arbeitsbedingungen und -zeiten, unterschiedliche Bezahlung und unterschiedliche Funktionen (z.B. durch Delegation von Schulleitungsrechten auf Lehrkräfte) haben in immer größerem Maße aus KollegInnen auf Dauer KonkurrentInnen gemacht. Bei Budgethoheit und unter finanziellem Druck wird das Kollegium sich langfristig in ein Kernkollegium mit gesicherten Arbeitsverträgen einerseits und Zusatzkräfte andererseits aufspalten.
- Leistungsdruck
Alle KollegInnen wurden in erheblich größerem Maße als bisher von der Schulleitung abhängig, die mit deutlich erweiterten Befugnissen ausgestattet wurde und z.B. über Einstellung, Teilzeit, Nebentätigkeiten u.v.a.m. entscheiden kann und muss.[1]
Entdemokratisierung und Entsolidarisierung, Konkurrenz und Wettbewerb
Konkurrenz unter den Schulen um SchülerInnen und Lehrkräfte, um die besten Ergebnisse in den zahllosen Vergleichstests und bei der Schulinspektion sind die Schattenseiten der selbstverantworteten Schule in Hamburg. Schulrankings, die in den Hamburger Zeitungen breitflächig veröffentlicht werden, die bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma die durchschnittlichen Abiturnoten der Schulen auflisten und danach die Plätze in der Tabelle vergeben, verschärfen den Druck zusätzlich. Bildung an Hamburgs Schulen verkommt immer mehr zum Wettbewerb um die besten Noten in den Kernfächern. Die GEW stellte hierzu 2006 fest: „Die Übernahme betriebswirtschaftlicher Logik und Strukturierung – Entdemokratisierung, Konkurrenz, Wettbewerb, Best Practice und Benchmarks usw. führt zur Belastung der Pädagogik und zur Verschlechterung des Arbeitsklimas an den Schulen und öffnet den Weg zur (Teil-)Privatisierung des Hamburgischen Bildungswesens: Schulen sollen wie Unternehmen (Betriebe) geführt werden.“[2] Bei knappen Ressourcen und betriebswirtschaftlicher Selbstverantwortung auf allen Ebenen können die Leidtragenden nur das schulische Personal sowie die SchülerInnen sein. Dies führt auch zu einer Entdemokratisierung: SchulleiterInnen werden nicht mehr von Schulgremien gewählt, sondern unter maßgeblichem Einfluss der Schulbehörde ernannt. Die Mitwirkung von Eltern und SchülerInnen wurde auf bestimmte Bereiche reduziert, ebenso wie die der Lehrerkonferenzen.[3]
Ein demokratischer Schulalltag mit erweiterten Formen der SchülerInnen- und Elternvertretung, mit Klassen- und Jahrgangsräten oder Schulversammlungen und einer selbstgestalteten Schulöffentlichkeit, demokratische Konfliktlösungsmodelle sowie engagierte Beteiligung wie z.B. in den zahlreichen „Schulen ohne Rassismus“ auch in Hamburg ist dagegen eine aus Sicht der GEW wünschenswerte Entwicklung. Die gegenwärtige Dominanz von Rankings, Hauptfächern, flächendeckenden Vergleichsarbeiten in kürzestem Rhythmus und Schulinspektionen stehen diesen Entwicklungen an den Schulen jedoch entgegen. Vielmehr sollte das Konzept gründlich evaluiert und entsprechend den Ergebnissen im Interesse einer zeitgemäßen Pädagogik und eines demokratischen Alltags an den Schulen korrigiert werden. Die Einführung der Selbstverantworteten Schule vor zehn Jahren – kein Grund zum Feiern.
Referat B Bildungspolitik und Referat C Bildungsfinanzierung
Foto: Christopher Nobel / www.pixelio.de
[1] Siehe: Die GEW-Personalräte informieren über den Entwurf zum Reformgesetz für die Selbstverantwortete Schule (SvS) in Hamburg, 2006
[2] Siehe: Stellungnahme der LVV der GEW Hamburg zur Schulgesetznovelle des Hamburger Senats, Beschluss der Landesvertreterversammlung vom 24.04.2006
[3] Siehe: Sechs Jahre CDU-Regierung in Hamburg: Bildung in Not, GEW Hamburg 2007