Die Anmelderunde zum Schuljahr 2016/17 bestätigt den sich in den letzten Jahren abzeichnenden Trend: Es werden immer mehr Schülerinnen und Schüler an den Gymnasien und nicht an den Stadtteilschulen angemeldet. Warum? Wird an den Stadtteilschulen schlecht gearbeitet? Nein. Den Stadtteilschulen wird sogar bescheinigt, dass die Schüler_ innen dort einen größeren Lernzuwachs haben als an den Gymnasien. Sie vergeben alle drei Schulabschlüsse. Sie geben den Schüler_innen für das Abitur ein Jahr mehr Zeit. Und die Stadtteilschulen schultern den größten Teil der schulischen Inklusion und auch die Integration von Flüchtlingen. Diese komplexen pädagogischen Aufgaben führen zwangsläufig zu anderen Konzepten für den Unterricht. Dass dies für alle Beteiligten erfolgreich gelingen kann, ist über 30 Jahre lange Praxis an integrierten Regelklassen (IR) und Integrationsklassen (I) vorwiegend an Gesamtschulen vorgemacht worden. Die Schulen, die sich daran beteiligt haben, haben z.T. eigene Konzepte, die für ihre Schule geeignet waren, entwickelt. Eines gab es an allen diesen Schulen: eine Zusammenarbeit von Allgemein- und Sonderpädagog_innen und pädagogisch-therapeutischem Fachpersonal (PTF) – heute: multiprofessionelle Teams. Für die I-Klassen galt: nicht mehr als vier Schüler_innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf bei 19 Schüler_innen in der Lerngruppe und zwei Pädagog_innen im Unterricht. Ein Erfolgsrezept! Daran hat der Hamburger Senat nicht angeknüpft, sondern ein Sparmodell auf den Weg gebracht. Wenn man nachrechnet, wurden für die flächendeckende Umsetzung der Inklusion 200 weitere Stellen geschaffen und das pädagogische Personal, durch die Auflösung der I-Klassen umverteilt. Den Unterschied der Förderung zwischen dem ursprünglichen Konzept und dem jetzigen kann man mit ca. zweidrittel weniger Förderung pro Kind veranschlagen.
Sehen wir uns an, was das nach den Anmeldezahlen im Bezirk Altona ganz konkret heißt. Dort gibt es 11 Gymnasien und 8 Stadtteilschulen. 1350 Erstwünsche von Eltern für ihre Kinder entfielen bei der Anmelderunde auf die Gymnasien, 581 Eltern wählten an erster Stelle eine Stadtteilschule, davon haben 130 Schüler_innen sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich Lernen, Sprache, emotionale Entwicklung: Zuviel für die Soll-Größen von vier Schüler_innen mit Förderbedarf pro Klasse. Die Behörde macht es sich einfach und erhöht die Zuweisung pro Klasse weiter. Auf die Warnungen aus den Schulen wird nicht gehört. Außerdem mussten die Schulen schon in diesem Schuljahr mit einer geringeren Zuweisung von Wochenarbeitszeit (WAZ) pro Schüler_in mit sonderpädagogischem Förderbedarf LSE auskommen, denn die Anzahl derjenigen, die Bedarf haben, ist gestiegen. Klar? Also: wenn ich 75 gedeckelte Stellen zu verteilen habe, werden es bei mehr Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich LSE immer weniger pro Kind. Im letzten Schuljahr waren es noch ca. 5,5 WAZ jetzt sind es nur noch 3,9 WAZ pro Kind. Das ist besonders zynisch, wenn man die permanenten Jubelzahlen des Senators vor Augen hat.
Stadtteilschulen haben es sehr schwer, eine eigenständige Attraktivität als Schule zu entwickeln. Dies ist der BSB natürlich auch klar. Deshalb muss sie handeln und die weiteren Kürzungen und Verschärfungen in diesem Bereich zurücknehmen und endlich mit allen Beteiligten in einen offenen Dialog treten, wie sich in Hamburg eine auf Chancengerechtigkeit ausgerichtete Schullandschaft entwickeln kann.
Anja Bensinger-Stolze, Fredrik Dehnerdt, Sven Quiring
Foto: Roland von Selzam / hlz