„Wer bereits an der Schule unterrichtet hat, soll künftig bei der Vergabe der Referendariate bevorzugt werden“, sagt der Schulsenator. „Anstatt in der Gastronomie oder im Fitnessstudio zu jobben, können sie als angehende Lehrkräfte besser in der Schule Fristverträge bekommen und unterrichten" (1). So ließ es Ties Rabe vor einem Jahr im Hamburger Abendblatt verlauten und forderte Studierende damit auf, sich verstärkt um solche Lehraufträge in Schulen zu bemühen. „Erstmals erkennen wir es an, wenn angehende Lehrkräfte bereits Praxiserfahrung in einer Schule gesammelt haben.[…] Solche Bewerberinnen und Bewerber haben sich Anerkennung verdient und werden deshalb bevorzugt eingestellt“ (2), sagt er nun und stellt die Neuregelung der Zulassung zum Vorbereitungsdienst (VD) plötzlich als ein Entgegenkommen gegenüber den AbsolventInnen dar, als wäre es nicht sein erklärtes Ziel gewesen, mehr Studierende als Lehrkräfte in die Schulen zu locken. Im neuen Punktesystem wird die Abschlussnote in eine Punktzahl umgerechnet, weitere Punkte können durch Lehrerfahrung oder Fremdsprachenassistenz gesammelt werden.
Dass diese Praxis aber große Gefahren birgt für die Professionalisierung im Studium und zudem Praxiserfahrung übermäßig bei der Zulassung zum VD gewichtet, scheint dem Senator nicht einzuleuchten. Dabei hat die GEW bereits vor einem Jahr davor gewarnt – ebenso wie über 60 Lehrende der Universität Hamburg in einem aktuellen offenen Brief (3). Aktuelle Antworten der Schulbehörde auf zwei schriftliche kleine Anfragen (4) zeigen jedoch, dass der Senator lieber Zahlenspielchen betreibt, als diese Problematik anzuerkennen.
Die aktuellen VD-Zulassungszahlen machen deutlich, dass im neuen Punktesystem Lehraufträge ein überaus wichtiger Faktor für die Zulassung sind. Der Schulsenator behauptet zwar, dass die Quote von 35,1% an Zugelassenen mit Notenmittelwerten bis 1,4 zeige, dass nun im Gegensatz zu früher endlich auch AbsolventInnen aufgenommen werden, die nur knapp unterhalb der Bestnote ihr Studium abgeschlossen haben. Im letzten Durchgang lag dieser Wert nämlich lediglich bei 28,4%. Der Schulsenator nutzt hier allerdings einen Taschenspielertrick: Betrachtet man nicht nur den letzten Jahrgang des alten Systems, sondern alle Jahrgänge bis 08/2013, zeigt sich folgendes: Der Wert von 35% ist der zweitniedrigste – mit Ausnahme des Jahrgangs 08/2018 liegt er in allen Jahrgängen höher, 08/2014 und 02/2015 sogar bei 47,7%.
Es ist somit zu befürchten, dass das neue Punktesystem vor allem denjenigen zum Vorbereitungsdienst verhilft, die während des Studiums schon viele Lehraufträge in der Schule absolvieren. Die Gefahr ist groß, dass sich Studierende unreflektiert Praxisroutinen aneignen, die sie später kaum wieder ablegen können. Diese Gefahr sieht auch die Universität, da Lehraufträge im Gegensatz zu Schulpraktika nicht durch Reflexionsseminare oder Lehrende und MentorInnen begleitet werden. Und der Schulsenator? Wundert sich im Abendblatt nur, „weshalb die Universität Hamburg nicht in ihren Begleitseminaren sicherstellen kann, dass die praktischen Erfahrungen durch eine Phase wissenschaftlicher Reflexion verarbeitet werden können“ (5). Es wäre jedoch vielmehr die Aufgabe der Schulbehörde, nicht der Universität, diese Reflexionsangebote sicherzustellen. Hier lässt die Behörde die Schulen jedoch allein und übernimmt jedoch keinerlei Verantwortung für Weiterbildung und Qualifikation dieser Lehraufträge. Die Betreuung durch AusbildungskoordinatorInnen oder MentorInnen können die Schulen nämlich nicht gewährleisten, da diese die Betreuung extra übernehmen müssten, ohne dafür zeitliche Entlastung zu erhalten. Der Schulsenator muss hier Geld in die Hand nehmen, sodass Schulen den Studierenden MentorInnen zur Verfügung stellen können. Dabei erscheint eine Orientierung an der Berufseinstiegsphase (BEP) sinnvoll, um die Unterrichtsqualität und die Qualifizierung der Lehraufträge sicherzustellen.
Welch großen Anteil Lehraufträge in der Unterrichtsversorgung Hamburger Schulen spielen, zeigen ebenfalls die Zahlen der Schulbehörde: Es übernehmen 1688 Personen Lehraufträge und stopfen so die Lücken, die der Lehrermangel in Hamburg aufreißt. Auch hier geht der Senator kreativ mit den vorliegenden Zahlen um, wenn er den Anteil der Lehraufträge als Vollzeitstellen berechnet und Personen nicht mitrechnet, die höchstens 10 Stunden unterrichten – Personen mit Lehrauftrag übernehmen ohnehin nur anteilige Stellen und insbesondere Studierende dürfen geringe Stundengrenzen gar nicht überschreiten, um nicht aus der studentischen Versicherung herauszufallen. Als Antwort auf die Kritik heißt es beim Senator, in vielen Lehraufträgen ginge es um „ergänzende Förderstunden oder Aufgaben im Ganztag und nicht nur um Unterricht“ (6) Hier widerspricht er jedoch seiner eigenen Aussage, dass Lehraufträge bei der Zulassung zum VD helfen sollen – denn hier werden nur solche Verträge anerkannt, die eine Mindestdauer an Monaten und Unterrichtsumfang aufweisen.
Auffällig ist, dass die Behörde vorgibt, keine Informationen über die besonders häufig von Lehraufträgen abgedeckte Fächer zu haben. Die Erfahrungen aus den Schulen zeigen jedoch, dass es sich hier häufig um Mangelfächer wie Physik oder Theater handelt. Außerdem machen Berichte von KollegInnen deutlich, dass beispielsweise gerade in Grundschulen auch Unterricht wie Deutsch und Mathe betroffen ist – also der besonders wichtige Anfangsunterricht. Dieser wird aber an vielen Schulen von Studierenden geleistet – manche davon sind erst in den frühen Semestern des Bachelorstudiums, andere Beschäftigte haben nicht einmal eine Lehramtsqualifikation. Sie sind insbesondere an Stadtteilschulen (216 Personen) beschäftigt.
Ein ehrlicher Umgang mit den eigenen Zahlen hieße, dass der Senator folgendes zugeben müsste: Ohne Lehraufträge durch oft wenig qualifizierte Studierende könnte die Unterrichtsversorgung an vielen Schulen nicht aufrecht erhalten werden. Der sinnvollen und praxisnahen Tätigkeit für angehende Lehrkräfte steht die Gefahr gegenüber, dass durch das neue VD-Zulassungssystem für viele Studierende nicht mehr kritisch-reflektiertes Studieren, sondern Lückenstopfen in den Schulen der Weg zum Traumberuf ist. Und: Um diese Gefahr zu bannen, muss der Schulsenator tätig werden und die Verantwortung nicht an die Schulen und die Universität abschieben.
Autor: Netzwerk LehrerInnenbildung
Foto: S. Hofschlaeger / www.pixelio.de
1) https://www.abendblatt.de/nachrichten/article213240157/Zu-wenig-Lehrer-H...
2) Abendblatt vom 7.3.19, S. 12
3) https://www.ew.uni-hamburg.de/ueber-die-fakultaet/aktuell/19-03-06-offen...
4) DS 21/15777 und DS 21/15980
5) Siehe 2
6) Siehe 2