Die GEW weist auf folgenden Brief von Erzieherinnen hin. Die Initiator*innen freuen sich, wenn ähnliche Briefe an den Bürgermeister und die Sozialsenatorin geschickt werden.
Wir Erzieher_innen sind der Meinung: So geht es nicht weiter!
Sehr geehrte Frau Dr. Leonhard,
sehr geehrter Herr Dr. Tschentscher,
sehr geehrte Damen und Herren,
wir wenden uns heute mit diesem Brief an Sie, da wir Erzieher_innen mit der derzeitigen Situation in unserem Beruf nur schwer umgehen können und uns nicht gehört bzw. gesehen fühlen.
Bei den Kindertagesstätten lautet das Motto seit der Corona-Pandemie „Wir fahren auf Sicht“. Allerdings fühlen wir uns gerade eher, als würden wir mit 100km/h durch eine 30 Zone fahren. Wir empfinden es als unverantwortlich, dass das ganze Land sich in einem zweiten Lockdown-Light befindet und wir im Regelbetrieb ohne echte Schutzmaßnahmen, die ein Infektionsrisiko tatsächlich minimieren, weiter arbeiten sollen. Zudem sind die neuen Hygienemaßnahmen der Behöre (vom 03.11.2020) kaum weitreichender als die Vorherigen aus dem Oktober 2020.
Das Argument, von Kindern gehe keine Ansteckung aus, ist aus unserer Sicht nicht hinreichend erforscht, um es als Argument für den Regelbetrieb, ohne besondere Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten, anzuwenden. Zudem werden Kinder derzeit kaum getestet, sodass sich darüber auch keine verlässlichen Aussagen treffen lassen.
Für alle Menschen in Deutschland gelten Kontaktbeschränkungen und man darf sich in seiner Freizeit mit höchstens einem anderen Haushalt treffen. Dass wir aber während der Arbeit in der Kita mit wesentlich mehr Haushalten Kontakt haben, der überwiegend sogar enger und intensiver ist als der, den man im privaten Umfeld pflegt, gerät hier völlig aus dem Fokus.
Wir arbeiten sehr eng mit den Kindern zusammen und sind im ständigen Körperkontakt mit ihnen (Nase putzen, trösten, füttern, zum Schlafen bringen). In unserer Arbeit ist dieser Körperkontakt nicht zu vermeiden!
Als Erzieher_in hält man sich den ganzen Tag mit mindestens 17 weiteren Personen in der Krippe und bis zu 40 weiteren Personen im Elementarbereich in einem kleinen Gruppenraum auf. In vielen Kitas wird den Eltern weiterhin Zugang zur Kita gewährt, wodurch sich noch mehr Menschen auf engsten Raum aufhalten und aufeinandertreffen. Hier sind nicht genügend Schutzmaßnahmen für die Erzieher_innen geschaffen. Es besteht ein enormes Ansteckungsrisiko.
Zudem sind wir Erzieher_innen seit Ausbruch der Corona Pandemie mit diversen zusätzlichen Aufgaben konfrontiert, die uns unseren normalen pädagogischen Alltag nur schwer ausführen lassen. Dementsprechend angespannt ist die Situation sowieso schon bei uns.
Zudem ist es sehr fragwürdig, wie ernst die Hygienemaßnahmen zu nehmen sind, denn nahezu alle Regeln, die die Kohortentrennung vorsehen, lassen sich in Ausnahmesituationen, wie beispielsweise bei Personalmangel (Stichwort Unterfinanzierung), aushebeln. Da in den meisten Kitas nahezu dauerhaft ein Personalmangel herrscht, sind die Schutzmaßnahmen also nicht einzuhalten.
Für uns Erzieher_innen besteht keinerlei Möglichkeit für uns selber Sorge zu tragen, wenn wir es für nötig halten. Die Eltern haben jederzeit die Möglichkeit ihre Kinder aus der Kita rauszunehmen, wenn es beispielsweise einen Corona-Verdachtsfall in der Kita gibt. Uns Mitarbeiter_innen steht solch eine Option nicht zur Verfügung. Uns wird lediglich die Chance gegeben, uns kostenlos testen zu lassen, was aber auch nicht als Arbeitszeit angerechnet wird. Leider ist aber auch diese Möglichkeit nicht ernsthaft gegeben, da diese Tests um 10 Uhr am Vormittag stattfinden, was wiederum nicht mit der Arbeitszeit vereinbar ist.
Zudem ist es momentan für uns sehr problematisch mit noch weniger Erzieher_innen arbeiten zu müssen, da schon bei leichten Krankheitssymptomen ein Test gemacht wird und die jeweilige Person sich dann bis zum Testergebnis in Quarantäne befindet. Es geht also durch die Quarantänepflicht noch mehr Personal verloren, welches dringend gebraucht wird.
Auch wir Erzieher_innen leben mit Menschen in einem Haushalt, die zu der Risikogruppe des Corona-Virus zählen oder wir gehören teilweise selber zu einer jener Risikogruppen. Im Frühjahr während des ersten Lockdowns wurden wir geschützt und von unserer Arbeit freigestellt. Wir erwarten, dass ernsthafte und für uns verlässliche Schutzmaßnahmen getroffen werden. Eine Maßnahme könnte hier beispielsweise, analog zu den Schulen, sein, dass regelmäßig mobile Testungen durchgeführt werden.
Selbstverständlich sind wir uns darüber bewusst, dass es für viele Familien unzumutbar ist, ihre Kinder wieder für einen so langen Zeitraum wie im Frühjahr alleine zu Hause zu betreuen. Man hätte jedoch die Sommermonate definitiv nutzen müssen, um für einen solchen zweiten Lockdown-Light ein passendes Konzept auszuarbeiten, wie man beispielsweise immer nur die Hälfte der Kinder in Kohorten betreut oder wie man es organisieren kann, dass immer ein Teil der Kinder zum Schutz der Mitarbeiter_innen zu Hause bleibt.
Ebenso wäre es vorstellbar, dass in dieser Zeit jetzt keine Früh- und Spätdienste stattfinden, da sich hier immer noch die Kohorten vermischen dürfen. Zudem wäre es eine Personalentlastung und der ganze Mehraufwand, den wir am Tag durch sämtliche Hygieneauflagen haben, könnte so besser abgefedert werden. Man hätte so, in der Kernzeit, mehr Personal zur Verfügung, um die Kohortentrennung zu verwirklichen.
Wir fordern ein sofortiges Handeln der Behörde und des Senats, um den Schutz der Erzieher_innen und deren Familien gewährleisten zu können!
In der öffentlichen Debatte kommen die Erzieher_innen der Kitas überhaupt nicht mehr vor! Lediglich die „Marschroute“, dass die Kitas geöffnet bleiben, wird kommuniziert. In den Kitas zu arbeiten, während einer Pandemie, ist mehr Beachtung wert!
Mit freundlichen Grüßen
Alessa Möller (Elbkinder Kita Emilienstraße, Dep. Tornquiststraße)
Carola Schwieger (Elbkinder Kita Achtern Born)
Foto: Gerhard Wellmann by pixelio.de