Die aktuelle Krankheitswelle hat die Kitas in Deutschland voll erwischt. Nicht nur viele Kinder, auch immer mehr Erzieherinnen und Erzieher stecken sich mit einem der vielen Erreger an, die gerade im Umlauf sind.
Der hohe Krankenstand ist sicherlich der Jahreszeit geschuldet, zugleich aber auch der Tatsache, dass andere Viren wegen der besonderen Schutzmaßnahmen im vergangenen Herbst und Winter nun stärker durchschlagen. Die Folge: In Einrichtungen überall in der Republik herrscht akuter Personalmangel. Dazu kommt eine hohe Personalfluktuation, gepaart mit einer großen Erschöpfung der Beschäftigten, die die Corona-Pandemie verstärkt hat.
Der Betreuungsschlüssel lässt vielfach keine gute pädagogische Arbeit mehr zu. Zu oft geht es nur noch um Verwahrung. Hinter dem Anspruch der Fachkräfte, jedem Kind gerecht zu werden, müssen die Kolleginnen und Kollegen oft weit zurückbleiben. In vielen Einrichtungen ist die Situation regelrecht dramatisch.
Dass viele vor dem Kollaps stünden, davor warnt D. Siebernik von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schon länger. Sie hat auf den auch ohne Grippewelle bereits extremen Personalmangel, die fehlenden Kitaplätze, die Belastungen durch die Pandemie aufmerksam gemacht. Geschehen ist zu wenig, den Kitas ist die notwendige Unterstützung verweigert worden. Deshalb trifft die aktuelle Krankheitswelle jetzt auf ein insgesamt geschwächtes System.
Die Rückmeldungen aus den Kitas sind unterschiedlich. Es gibt Häuser mit einem Krankenstand von mehr als 50 Prozent, aber auch Einrichtungen, in denen niemand erkrankt ist. Letztere sind leider eher die Ausnahme. Zudem ist der Umgang der Kitas mit diesen Herausforderungen ganz unterschiedlich. Größere Einrichtungen können Gruppen zusammenlegen, in kleineren Kitas sind oft Elterndienste erforderlich. Auch werden Betreuungszeiten massiv gekürzt, oder es müssen ganze Einrichtungen geschlossen werden.
Beispielsweise hat die Barmer Krankenkasse für Berlin im November festgestellt, dass sich der Krankenstand in Kitas gegenüber 2018 verdoppelt habe.
Die Krankheitswelle darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Deutschland auch ein systemisches Problem in der frühen Bildung gibt. Überall werden die Auswirkungen des Fachkräftemangels sichtbar, vielerorts sind sie alarmierend
Bundesweit arbeiteten im Frühjahr 2022 mehr als 840.000 Menschen in Kitas und Kindergärten. In den vergangenen Jahren haben sich die Zahlen durch das Recht auf einen Kitaplatz mehr als verdoppelt. Sie wachsen weiterhin jährlich um rund drei Prozent. Es gibt kaum eine andere Branche, die im vergangenen Jahrzehnt einen so starken Beschäftigtenzuwachs erlebt hat. Die Bedeutung der frühen Bildung, Erziehung und Betreuung ist in den Fokus der Gesellschaft gerückt. Richtig so!
Es fehlt jedoch nach wie vor entschlossenes politisches Handeln, um den Platzausbau und die notwendige Qualitätsentwicklung deutlich zu verbessern. Die Bundesrepublik hat einiges verschlafen.
Im Jahr 2023 wird die Situation angespannt bleiben, wie die kürzlich vorgelegten Zahlen der Bertelsmann Stiftung belegen. Bundesweit werden demnach mehr als 383.000 Plätze fehlen, um die Betreuungswünsche der Familien zu erfüllen. Parallel zu den knappen Kitaplätzen herrscht ein eklatanter Mangel an pädagogischen Fachkräften: Mehr als 98.000 weitere Beschäftigte werden gebraucht. Legt man die Empfehlungen der Wissenschaft für eine kindgerechte Personalausstattung der Kitas zugrunde, sind bundesweit sogar mehr als 300.000 zusätzliche Fachkräfte nötig.
Einheitliche Qualitätsstandards
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz hat soeben ihr Gutachten „Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern“ veröffentlicht. Ihren Empfehlungen muss endlich gefolgt und mehr Geld in die Bildung und damit in die Kinder investiert werden. Es braucht eine mutige Fachkräfteoffensive. Die Ausbildung der Fachkräfte muss vom ersten Tag an bezahlt werden. Sie benötigt eine qualifizierte Praxisanleitung.
Die Kommunen müssen zusätzliche Mittel bekommen. Die Politik muss klare Signale für bundesweit einheitliche Qualitätsstandards in der frühkindlichen Bildung setzen.
Erst wenn die Arbeits-, Rahmen- und Einkommensbedingungen stimmen, werden sich noch mehr Menschen für diese tollen Berufe entscheiden. Die Bundesrepublik braucht mehr gut ausgebildete Fachkräfte, denn Eltern vertrauen den Erzieherinnen und Erziehern das Wertvollste an, was sie haben – ihre Kinder.
Was das für Hamburg bedeutet
Für Hamburg bedeutet das, dass wir bessere Bedingungen in den Kitas brauchen, vor allem einen besseren Personalschlüssel und eine höhere Vertretungsquote. D.h. einen schnellen und guten Tarifabschluss, um die Bezahlung den Hamburger Verhältnissen anzupassen und nicht wieder ein Blockieren eines vernünftigen Abschlusse durch die Arbeitgeber*innen. Zwischen Senat und den betroffenen Trägern und den Beschäftigten müssen neue Ziele für einen besseren Personalschlüssel verhandelt und umgesetzt werden.
Auch in der Presse ist das Thema sehr präsent, so z.B. bei n-tv („‘Kaum noch zu verantworten‘ – Gewerkschaft befürchtet Kita-Zusammenbruch“) oder auch bei der Welt am Sonntag („Die Bedingungen in deutschen Kitas sind kaum noch zu verantworten“).
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