Solidarität in der Bildungsarbeit – das ist nach drei Tagen eine Kernforderung des 6-tägigen Weltsozialforums. Auch über eine klare Linie gegen Kinderarbeit verständigten sich die Organisationen in Montréal.
Internationale Gäste aus Partnergewerkschaften der USA, Burkina Faso und Albanien trafen sich am 11. August 2016 auf dem Weltsozialforum, um auf dem von der GEW organisierten Workshop Maßnahmen gegen Kinderarbeit zu diskutieren. Denn auch vor westlichen Industrienationen mache die Kinderarbeit keinen Halt, so Eric Duncan, Vertreter der US- amerikanischen Bildungsgewerkschaft American Federation of Teachers (AFT). Er gewährte erstaunliche Einblicke in die Welt der Kinderarbeit in den USA. Vor allem im landwirtschaftlichen Sektor sei Kinderarbeit dort verbreitet. Genutzt würden dazu Ausnahmeregelungen, die Kinderarbeit in bestimmten Grenzen und Bereichen erlaubt, obwohl sie grundsätzlich auch in den USA verboten ist. Ebenso wie die GEW machte auch der Gewerkschafter aus den USA deutlich, dass den Konsumenten von Produkten aus Kinderarbeit in den Industrienationen eine hohe Verantwortung für die weltweite Existenz von Kinderarbeit zukommt.
Konkrete Maßnahmen gegen Kinderarbeit werden in Burkina Faso und Albanien sichtbar. Souleymane Badiel erklärt, dass von den Gewerkschaften der Lehrkräfte und der Sozialarbeiterinnen und -arbeiter in Burkina Faso Kinder und Jugendliche, die in privaten Haushalten, im Straßenhandel und auf Baumwollfeldern arbeiten, in die Schulen geholt und dort individuell betreut würden. So sei sichergestellt, dass sie regelmäßig zur Schule gehen können und Abschlüsse erwerben. Im Mittelpunkt stehe dabei die Aufklärung der Eltern über die Bedeutung guter Schulbildung für die Zukunft ihrer Kinder.
In Albanien hingegen gebe es für die individuelle Betreuung von Schüler*innen, die die Schule vorzeitig verlassen, um zu arbeiten, sogenannte Monitoring-Gruppen aus Schülern, Eltern und Lehrern, erläutert Stavri Liko. Diese Gruppen versuchten durch verschiedene Maßnahmen, wie materielle Unterstützung beim Schulbesuch und die Schaffung eines inklusiven Klimas Schüler*innen zurückholen und dort zu halten. Die Projekte in Albanien und Burkina Faso werden von der GEW-Stiftung „fair childhood“ unterstützt.
Solidarität bei der Bildungsfinanzierung
Bereits einen Tag zuvor, am 10. August stand Bildung im Fokus der Diskussionen. Alle Teilnehmenden waren sich darin einig, dass die Bildung in allen Ländern unterfinanziert sei. Eine französische Kollegin verglich die Bedeutung von Bildung mit dem Gesundheitssystem: Bei unterfinanzierter Gesundheitsfürsorge machten sich schnell Krankheiten breit und die internationale Gemeinschaft helfe mit konzertierten Aktionen bei der Eindämmung einer Epidemie. Dieselbe Aufmerksamkeit müsse Bildung erfahren. Dafür müsse ein Weltfond für Bildung und Forschung geschaffen werden.
Bereits im Mai 2016 hatten Globale Bildungskampagne und GEW die Bundesregierung dazu aufgefordert, den internationalen Bildungsfonds „Education Cannot Wait“ mit 50 Millionen Euro jährlich zu unterstützen. Bei solch einem Fonds müsse jedoch geklärt werden, forderte ein französischer Kollege, wie dieser verwaltet wird und verwies auf die Kritik aus ärmeren Ländern am Versickern von Finanzmitteln und an Korruption. Um diesen Fond durchzusetzen, sei eine mächtige Aktivierung aller zivilgesellschaftlichen Kräfte nötig.
Uschi Kruse, Vorsitzende der GEW Sachsen, unterstütze die Forderung nach mehr Rücksicht auf ärmere Länder. Die wenigen Kolleg*innen aus den ärmeren Ländern in der Karibik, in Afrika oder Südamerika seien viel zu wenig vertreten. „Die, die am meisten Solidarität brauchen, können gar nicht hier sein“, so Kruse.
Neben den Schwerpunkten Bildung und Kinderarbeit organisierte die GEW auch einen Workshop zum Thema „Begegnung von Schule mit Rassismus“. Lisa Ochs, Vorsitzende der US-Gewerkschaft AFT in Kansas betonte, wie insbesondere schwarze männliche Jugendliche vor institutionellem Rassismus geschützt werden müssten. Klaus Bullan, ehemaliger Vorsitzender der GEW Hamburg, führte das Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ als einen Weg an, Rassismus an Schulen zu bekämpfen. Deutlich wurde dabei, wie viele Wege es gegen Rassismus geben kann, sie müssten jedoch auch gegangen werden, so die Teilnehmenden.
Recht auf Bildung gilt auch für Flüchtlingskinder
Parallel zum Workshop über Kinderarbeit hatte die GEW am 11. August Ismail Sağdıç von der türkischen Lehrergewerkschaft Eğitim Sen eingeladen, um über die Bildungsangebote für Flüchtlingskinder zu diskutieren. Insgesamt seien über 3 Mio. Menschen in die Türkei geflüchtet, die Mehrheit von ihnen Syrer. Rund ein Drittel der Geflüchteten seien Kinder, aber die wenigsten besuchten eine Schule, erklärte Sağdıç. Hierfür gebe es verschiedene Gründe. Die Entfernung zur Schule bei fehlenden Transportmöglichkeiten sei nur ein Grund, dass etwa jedes fünfte Kind arbeitet und deshalb nicht zur Schule geht, ein weiterer. Der Unterricht finde sowohl in provisorischen Schulen in den Flüchtlingslagern als auch in regulären türkischen Schulen statt. In den Lagern unterrichteten auch syrische Lehrkräfte als Ehrenamtliche nach syrischen Lehrplänen. Diejenigen Kinder, die türkische Schulen besuchen, würden ohne jegliche sprachliche Unterstützung in der türkischen Sprache nach türkischem Curriculum unterrichtet. Auch die Beschaffung von Unterrichtsmaterial sei schwierig. Eğitim Sen hat einen Katalog von Forderungen formuliert, der z.B. den Zugang zu Schulbildung für alle Kinder, die Bereitstellung von Transportmöglichkeiten und ein multilinguales Curriculum beinhaltet. Um auch Kinder in entlegenen Lager zu erreichen, sollten mobile Lehrkräfte eingesetzt werden.
Tom Erdmann (GEW Berlin) und Monika Gessat (GEW Baden-Württemberg) betonten erneut die zentrale Forderungen aus den Handlungsempfehlungen der GEW „Bildung kann nicht warten“. Dass konkrete Forderungen von enormer Bedeutung für die Arbeit mit Flüchtlingskindern seien, erklärte eine französische Kollegin. Erst nach Intervention der Lehrergewerkschaft seien Bildungsangebote für die Kinder des Flüchtlingslagers in Calais entstanden, inzwischen betreibe dort eine NGO eine Schule im Lager. In England, so die Kolleginnen und Kollegen vor Ort, würden die Kinder ohne sprachliche Unterstützung Regelklassen besuchen.
Auch über den Umgang mit Flüchtlingskindern in den USA wurde Kritik laut. Drei Kolleginnen einer kirchlichen Organisation in den USA berichteten, dass sie Kindern aus Lateinamerika Schutz böten, diese in ihrem Bundesstaat von der Schule aber nicht an die Behörden gemeldet würden und die Polizei auch nicht das Recht habe, nach Ausweispapieren zu fragen. Dies sei aber von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden. Kanada könne hier als Vorbild gelten: An staatlichen Schulen Montréals werden in „Willkommensklassen “ auch Erwachsene unterrichtet, um ihnen den Übergang in eine Ausbildung oder das Berufsleben zu ermöglichen. Alle Anwesenden waren sich einig: Das Recht auf Bildung ist nicht verhandelbar.
Foto: GEW-Workshop gegen Kinderarbeit, Günther Fuchs