Politisches Engagement von Jüd_innen in Deutschland wird in der Regel in zweierlei Zusammenhang gesehen: hinsichtlich der israelischen Politik und bezogen auf die Rechte als Minderheit. Beide Formen gelten in der Regel als berechtigtes und doch partikulares Interesse, dem sich aus der Verantwortlichkeit für die nationalsozialistischen Verbrechen auch nicht-jüdische Deutsche beigesellen. Wenig beleuchtet ist ein universalistisches politisches Engagement von Jüd_innen. Historisch wird es vor allem in die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg verortet und mit dem Jüdischen Arbeiterbund in Verbindung gebracht. Doch auch die Neuen Linke fand signifikanten Widerhall unter jungen Jüd_innen. In der Revolte von 1968 war es Daniel Cohn-Bendit, der ein grenzüberschreitendes Sprachrohr der politischen Bewegung war. Bis heute prägt er eine progressive europäische Politik mit. Ende der 1970er Jahre fand sich in Frankfurt die Jüdische Gruppe zusammen, die sowohl der etablierten Gemeindepolitik wie auch der israelischen Politik kritisch gegenüberstanden.
Zwei Veranstaltungen (s. u.) sollen das Spektrum nicht-konformen politischen Aktivismus im deutschsprachigen Judentum nach 1945 beleuchten und beitragen, anhand dieses Beispiels die Verstrickungen zwischen partikularen Interessen und universalen Hoffnungen zu verdeutlichen.
Eine Kooperation der Rosa-Luxemburg-Stiftung Hamburg, dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden und der GEW Hamburg.
Gefördert durch die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg
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am 27. September 2018, 19:00 Uhr im Curio-Haus/GEW
Dr. Sebastian Voigt - Der jüdische Mai ’68
Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums sind die Ereignisse des Jahres 1968 medial wieder präsent. Von rechtskonservativer Seite werden die früheren Aktivisten immer wieder für die heutige Situation verantwortlich gemacht. So sprach der AfD-Parteivorsitzende Jörg Meuthen vom „versifften links-grünen 68er-Deutschland“, das es zu ändern gelte. Derartige Angriffe richteten sich häufig direkt gegen ehemalige Protagonisten der 68er-Bewegung.
am 17. Oktober 2018, 19:00 Uhr im Curio-Haus/GEW
Zarin Aschrafi - Zwischen Universalismus und Partikularismus: Linke Juden im Frankfurt der 70er und 80er
Im Zentrum des Vortrages steht eine Gruppe jüdischer Intellektueller, die sich im Frankfurt der siebziger und achtziger Jahre mit den Idealen und Motiven der linken Bewegung identifizierte. So engagierten sie sich etwa beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund, im Sozialistischen Büro oder bei der Frauenbewegung. Ihre Identifikation war jedoch von ambivalenter Natur, was insbesondere mit der Verschärfung des Nahostkonflikts ab Ende der sechziger Jahre sichtbar wurde. Schließlich, im Jahre 1980, wurde in Frankfurt die „Jüdische Gruppe“ gegründet, in der sie sich über das Verhältnis ihrer jüdischen Erfahrung einerseits und ihrem universalistischen Anspruch andererseits auseinandersetzten. Der Vortrag widmet sich diesem Such-, Lern- und Erkenntnisprozess, der 1986 in der erstmaligen Drucklegung der programmatischen Zeitschrift „Babylon“ seinen Kulminationspunkt fand.