Über 350 Delegierte und Gäste aus 44 Ländern haben vom 6. – 8. Dezember in Belgrad die politische Agenda der europäische Gewerkschaftskomitees festgelegt. Der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller wurde erneut zum Vizepräsidenten gewählt.
Keine Lösung ohne Bildung
„Es gibt keine Lösung ohne Bildung. Öffentliche Bildung ist ein Grundpfeiler für demokratische Systeme“, betonte die aus Australien in die serbische Hauptstadt angereiste Präsidentin der Bildungsinternationale, Susan Hopgood, zum Auftakt der Konferenz. Hopgood sprach sich dafür aus, der Erziehung zu „Global Citizenship“ mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Gewerkschaften hätten die Kraft und die Verantwortung, sich dafür einzusetzen. Routiniert und mit britischem ‚Understanding‘ führte Christine Blower (NUT – Großbritannien), die in Belgrad als Präsidentin des Europäische Gewerkschaftskomitees für Bildung und Wissenschaft (EGBW) bestätigt wurde, durch das dreitägige Konferenzprogramm. Angesichts von Flüchtlingskrise und politischem Rechtsruck in vielen Ländern Europas forderte sie die Bildungsgewerkschaften auf, stärker zusammenzustehen, für gute Bildung für alle zu kämpfen und entschieden die Interessen der Mitglieder zu vertreten, getreu dem Motto: „Educate, Agitate, Organize!“.
Frauen-Power im neuen EGBW-Vorstand
Vier Frauen und zwei Männer stehen Blower als EGBW-VizepräsidentInnen im neu gewählten EGBW-Vorstand zur Seite: Trudy Kerperien (AOb – Niederlande), Odile Cordelier (SNES – Frankreich), Dorte Lange (DLF – Dänemark), Galina Merkulova (EDUPROF – Russland), Branimir Strukelj (ESTUS - Slwowenien) und Andreas Keller (GEW). Viel Frauen-Power im Vorstand, die noch durch eine weitere weibliche Personalie verstärkt wird: Die Deutsch-Britin Susan Flocken wird als neue EGBW-Direktorin zukünftig für die Leitung des EGBW-Büros in Brüssel verantwortlich sein und den Vorstand bei der Umsetzung der Konferenzbeschlüsse unterstützen. Sie folgt dem langjährigen EGBW-Direktor Martin Rømer (Dänemark), der zum Jahresende in den Ruhestand tritt.
GEW-Antrag zu Europäischen Schulen beschlossen
Die Delegierten beschlossen eine Reihe Anträge und Positionspapiere, die sich mit Qualität und Gleichstellung in der Bildung, Integration von Flüchtlingen, dem Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien im Unterricht und der Situation von Beschäftigten an Hochschulen befassten. Weitere Anträge gab es zum beruflichen Status von Lehrkräften, gegen die Privatisierung von Bildung und für eine Bildung für Demokratie – ein Thema, für das sich die polnische Bildungsgewerkschaft ZNP stark gemacht hatte. Beschlossen wurde auch ein von der GEW eingebrachter Antrag zum sozialen Dialog und Tarifverhandlungen an Europäischen Schulen, der sich für faire Arbeitsbedingungen von Lehrkräften an den 14 offiziellen Europäischen Schulen an Standorten mit EU-Institutionen ausspricht, von denen allein drei in Deutschland liegen (Frankfurt, München, Karlsruhe).
Antrag zu frühkindlicher Bildung soll im EGBW-Ausschuss beraten werden
Ein von skandinavischen Gewerkschaften mit Unterstützung der GEW eingebrachter Antrag für ein EGBW-Netzwerks zur frühkindlichen Bildung wurde zur weiteren Beratung und Beschlussfassung an den zweimal jährlich tagenden EGBW-Ausschuss verwiesen. Der EGBW-Ausschuss besteht aus jeweils einem Gewerkschaftsvertreter pro Land. Da in vielen Ländern mehr als eine Bildungsgewerkschaft existiert, müssen diese sich auf einen gemeinsamen Vertreter bzw. eine Vertreterin verständigen. Wo das nicht gelingt, entscheidet die EGBW-Konferenz. Dies war in Belgrad bei vier Ländern der Fall: Serbien, Ungarn, Großbritannien und Polen. Im Falle von Polen entschieden sich die Delegierten mit überwältigender Mehrheit für die Kandidatin der ZNP und erteilten ihrem Konkurrenten von der Gewerkschaft Solidarnosc und damit auch deren Unterstützung der Politik der rechten polnischen PIS-Regierung eine deutliche Abfuhr.
Türkische Gewerkschaftsdelegierte durften nicht teilnehmen
Große Unterstützung erhielt eine Resolution zur Türkei, die die Hexenjagd gegen Oppositionelle und kritische GewerkschafterInnen unter dem Erdogan-Regime verurteilt und zu Protesten gegen die Massenentlassungen und Verhaftungen von Lehrkräften aufruft. Da ihm die Erlaubnis zur Ausreise und zur Teilnahme an der EGBW-Konferenz verwehrt worden war, überbrachte Kamuran Karaca, Präsident der türkischen Bildungsgewerkschaft Eğitim Sen, seine Botschaft aus Ankara an die Delegierten in Belgrad per Telefonschaltung. Darin bekräftigte er die Entschlossenheit seiner Organisation, den Repressalien standzuhalten und rief zur Unterstützung der entlassenen Lehrerinnen und Lehrer in seinem Land auf.
Marlis Tepe berichtete über die nach Deutschland geflohene Gewerkschafterin Sakine Yılmaz
Mit teils emotionalen Worten bekundeten mehrere Delegierte ihre Unterstützung der Türkeiresolution. Viel Aufmerksamkeit fand auch der Redebeitrag der GEW-Vorsitzenden Marlis Tepe, die über die nach Deutschland geflohene ehemalige Eğitim Sen Generalsekretärin Sakine Esen Yılmaz berichtete: „Weil sie in der Türkei zu einer Kundgebung zum internationalen Frauentag aufgerufen hat, die auch von der PKK beworben wurde, wird Sakine als Terroristin verfolgt. In ihrer Heimat drohen ihr zwanzig Jahre Gefängnis. Die GEW unterstützt Sakine in ihrem Asylverfahren, indem wir ihren Anwalt finanzieren und organisiert Solidaritätsveranstaltungen, bei denen Sakine über die Situation in ihrem Land informiert.“
Manfred Brinkmann
Foto: Der neue EGBW-Vorstand, Foto: Manfred Brinkmann