Dinge, die ich gelernt habe...

02. Dezember 2014Von: Jana ThonfeldThema: Internationales
Klassenraum in der Escuela San Jerónimo

Jana Thonfeld, Spanischlehrerin am Gymnasium Rahlstedt, übernahm vor drei Jahren die Betreuung der Schulpartnerschaft ihrer Schule mit der Schule San Jerónimo in León. Die Partnerschaft zwischen beiden Schulen besteht seit fast dreißig Jahren. In diesem Sommer ging Jana Thonfeld in ein Sabbatjahr, um eine Weltreise zu machen. Zu Beginn dieses Abenteuers verbrachte sie drei Wochen mit der Hamburger GEW-Delegation in Nicaragua. Hier Ausschnitte aus ihrem Bericht.

Nicaragua ist ein Land voller Kontraste. Zum einen sieht man wunderschöne Strände, verlassene Buchten, malerische Fischerbote oder unberührte Vulkane, zum anderen vertrocknete Landschaften, in denen jedes zweite Grundstück verlassen ist und zum Verkauf steht. Alle Häuser, die ein wenig hochwertiger aussehen, da aus Stein gebaut, sind mit einer hohen Steinmauer umzogen, die mit Stacheldraht versehen ist. Bisweilen sind die Vegetation und die Tierwelt so dicht und schön, dass man gar nicht weiß, wo man zuerst hingucken oder hinhören soll: Affen, Papageien, Palmen, Seen, Kokosnüsse, Schweine, Hähne.... zum anderen sieht man aber auch extrem dünne Pferde oder Rinder, die die letzten trockenen Gräser am Straßenrand auslesen.

In den größeren Städten gibt es tolle Cafés, Restaurants oder Kulturzentren. Andererseits wird immer wieder die extreme Armut der Bevölkerung deutlich. Häufig sieht man aufgetürmten Müll in den Straßen, der direkt vor Ort verbrannt und mit kostbarem, sowieso wenig vorhandenem Wasser gelöscht wird. Es ist durchaus normal, dass einmal pro Tag entweder kein Wasser oder kein Strom da ist. Die Menschen leben zumeist in kleinen, dunklen Wellblechhütten und besitzen nicht viel mehr als die Kleidung, die sie tragen. Auch in den Häusern der Lehrer_innen aus León, die für Nica-Verhältnisse nobel waren, habe ich zum Beispiel außer einem Fernseher oder einer Stereoanlage keine weiteren Habseligkeiten wie z.B. Bücher entdecken können. Schränke oder Regale gab es auch nicht. Gewaschen wird natürlich immer mit der Hand in einem Steinwaschbecken hinter dem Haus.

(An dieser Stelle ist eine Erläuterung nötig: Diese „noblen“ Häuser der Lehrer_innen sind in León ein Luxus, aber keine Selbstverständlichkeit. Sie sind das Ergebnis eines Projektes der Lehrergewerkschaft ANDEN/ León – ausgeführt unter der Leitung unserer Partnerschaftskoordinatorin Bernarda López. Diese zunächst 150 Häuser für Lehrer_innen sind als neue Siedlung vor den Toren der Stadt León entstanden. Sie können von den Lehrer_innen erworben werden, weil die ANDEN dafür eine sehr günstige Finanzierung über 25 Jahre aus einem staatlichen Förderungsprogramm bekommen hat. Mehr dazu in einer späteren hlz, Horst Stöterau)

Der größte Kontrast des Landes besteht meiner Meinung nach aber darin, dass die Menschen trotz dieser ungünstigen Verhältnisse so extrem herzlich sind und nicht unglücklich wirken. Bei meinem Besuch der Partnerschule bin ich von allen, besonders den Schüler_innen, so herzlich empfangen worden, dass ich richtig gerührt war.

Paolina, eine der Lehrerinnen aus unserer Partnerschule San Jerónimo, schilderte mir, dass sie früher jeden Tag vier Stunden zu Fuß zu ihrer Schule laufen musste, da diese am Stadtrand in der Nähe des Vulkans Cerro Negro lag. zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück. Wenn einer von euch mal bei 34 Grad durch die Stadt gelaufen ist, weiß er, wie anstrengend das gewesen sein muss. Hinzu kam noch, dass diese Lehrerin in Zeiten des Bürgerkrieges Gefahr lief, von den gegnerischen Truppen angegriffen, verhaftet und verschleppt zu werden. Sie hat sich trotzdem jeden Tag auf den Weg gemacht. Aufstehen musste sie dafür gegen vier Uhr, denn bevor sie zur Schule ging, die hier übrigens wegen der Hitze schon um sieben Uhr anfängt, musste sie noch ihre Familie versorgen. Trotz allem ist diese Lehrerin eine extrem freundliche Person, die mit ihrer Energie und Fröhlichkeit die anderen ansteckt. Sie wirkt auf mich kein bisschen verbittert oder vom Leben enttäuscht. Was ich daraus gelernt habe: Wahre Zufriedenheit scheint nicht von äußeren Umständen abhängig zu sein. Gesunde soziale Beziehungen sind anscheinend wichtiger als viele Besitztümer. Vielleicht ein Grund mehr, in Hamburg mal wieder so richtig auszumisten?

Das tägliche Leben in Nicaragua empfinde ich als viel unkomplizierter als das in Deutschland. Zum Beispiel das Busfahren: Man bekommt alles im Bus, was man braucht...die Fahrkarte kann man im Sitzen lösen und wenn man Hunger oder Durst hat, kauft man einfach das, was durchs Fenster oder im Bus angeboten wird. Manchmal kann man sogar Wundermittel kaufen, die angeblich gegen jede Art von Krankheit helfen! Egal, wie voll der Bus ist, es passen immer noch die hinein, die noch einsteigen wollen...und mein Rucksack wandert einfach aufs Dach!

Die drei Wochen dieser Reise in Nicaragua verbrachte ich gemeinsam mit neun anderen Hamburger Lehrer_innen. Die meisten davon sind schon lange in der GEW-Arbeit aktiv und engagieren sich natürlich besonders für die Schulpartnerschaft mit Nicaragua. Ich habe den Altersdurchschnitt deutlich nach unten gesenkt, aber glaubt nicht, dass ich die meiste Kraft und Energie hatte! Besonders die älteren Kollegen aus der 68-er-Generation waren diejenigen, die am meisten für die Partnerschaft getan und abends noch am längsten durchgehalten haben. Auch die eine oder andere Flasche Rum ist dabei geflossen. Häufig ging es um politische Themen: Die sandinistische Regierung, Verbesserungen im Bildungsbereich oder auch Israel und Palästina. Ich konnte meist nur still dabeisitzen und zuhören, denn so viel politisches Wissen besitze ich einfach nicht. Das ist mir zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit bewusst geworden. Einer anderen Kollegin in meinem Alter ging es ähnlich. Ist das symptomatisch für unsere Generation? Interessieren wir uns nicht mehr für die Verbesserung der Verhältnisse um uns herum? Sind unsere eigenen Sorgen, die Familie oder das iPad manchmal wichtiger? Im Revolutionsmuseum in León hatten wir eine Führung von einem Kriegsveteranen, der uns seine Wunde, die eine Granate verursacht hatte, gezeigt hat. Das hat mich beeindruckt. Aber wann rede ich mit meinen Freunden oder der Familie mal über Politik? Und wer von meinen Lehrer-Freundinnen ist heute noch in der GEW? Nachdem ich gesehen habe, wie wichtig eine Lehrer-Gewerkschaft in einem Land wie Nicaragua ist, frage ich mich ernsthaft, ob ich nicht auch eintreten sollte...

JANA THONFELD