Ein Ökonom ist neuer Bildungsminister
„Das Bildungsministerium ist das wichtigste. Es muss gut geführt werden“ verkündete Jair Messias Bolsonaro schon vor seiner Amtseinführung am 1. Januar dieses Jahres als Präsident Brasiliens. In Abraham Bragança de Vasconcelos Weintraub glaubt er endlich den richtigen Mann gefunden zu haben, erfolgreich den Kampf gegen den „herrschenden ‚Kulturmarxismus“ im Bildungswesen zu gewinnen. Seit 8. April ist Weintraub im Amt und versucht mit allen Mitteln die Vorgaben des Präsidenten in einem Rundumschlag von der Grundschule bis zu den Universitäten durchzusetzen. Der neue Minister ist Ökonom. Er kommt aus dem Bankwesen und ist als Pädagoge völlig unerfahren. Sein in Leitungsaufgaben ebenfalls unerfahrener Vorgänger Ricardo Veléz Rodrigues war nach nur 3 Monaten Amtszeit als Bildungsminister gefeuert worden. Er war die Nummer 17, die das Bildungsministerium in der kurzen Amtszeit der neuen Regierung bereits verlassen musste. Fast alle waren ranghohe Militärs, die Bolsonaro ins Ministerium geholt hatte. Sie sind dem Machtkampf zwischen Militär und den Anhängern des rechtsradikalen Philosophen und Astrologen Olavo Carvalho in der Bolsonaro-Regierung zum Opfer gefallen.
Disziplin, Ordnung und Patriotismus
Bolsonaro ist Hauptmann der Reserve. Er möchte zu den „geordneten Zeiten der Militärherrschaft“ (1964-1985) zurück und linke Ideologien sowie falsche „antinationale Geschichtsschreibung“ aus den Curricula der Schulen und Universitäten streichen. Unter dem Titel ‚Escola sem Partido‘ (‚Schule ohne Partei‘) werden Schüler*innen und Studierende aufgefordert, kritische Äußerungen von Lehrer*innen, Dozent*innen aufzuzeichnen und zu ‚melden‘. Dahinter steckt die Absicht, Schulen und Universitäten von solchen Lehrkräften zu ‚befreien’ und nur noch Lehrpersonal zu haben, das ‚eine brasilianische Ideologie‘ vertritt. In den Schulen soll mehr Disziplin herrschen. Daher will man nach dem Vorbild von Schulen an Militärstandorten, landesweit ‚Escolas Militares‘ gründen. Vor Unterrichtsbeginn sollen Schüler*innen in „geordneter Aufstellung und Haltung“ an allen öffentlichen Schulen die Nationalhymne singen und die brasilianische Fahne grüßen. Dies ist die militärische Seite, die für Disziplin, Ordnung und Patriotismus steht. Sie scheint aber an Einfluss zu verlieren, wie die aktuellen Machtkämpfe im Bildungsministerium zeigen.
Ideologische Schützenhilfe aus den USA
Die ideologische Seite wird von Olavo de Carvalho angeheizt, einem ultrarechten ehemaligen Philosophieprofessor aus Fortaleza, Nordostbrasilien, der von seinem Wohnort in Virginia, USA, aus kontinuierlich Hetzvideos gegen Kommunisten sendet, die angeblich „in den Schaltzentralen der Banken, Medien, Wirtschaftskonzernen, Gewerkschaften sitzen, die an den Universitäten ihre vom Staat bezahlte nichtsnutze Arbeit als Soziologen missbrauchen und junge Menschen indoktrinieren.“ Eine seiner Hassfiguren ist der große brasilianische Pädagoge Paulo Freire, der auch international geachtet ist und mit 41 Ehrendoktortiteln ausgezeichnet wurde. In den 60er Jahren hatte er mit seiner Methode erfolgreich die Analphabetenrate im Nordosten Brasiliens gesenkt.
Alphabetisierung als Bewusstseinsbildung
Paule Freire entwickelte Unterrichtsmaterial, das die konkrete Situation der Landarbeiter zum Thema hatte. Lesen, Schreiben, Rechnen waren für ihn Mittel der ‚conscientisacao’ (Bewusstseinsbildung) zum mündigen Staatsbürger, der seine Rechte kannte. Sein Buch ‚Pädagogik der Unterdrückten’ ist ein Klassiker und bis heute in vielen Ländern Pflichtlektüre angehender Pädagog*innen. Freire wurde von der Militärdiktatur verfolgt und erarbeitete im Exil Alphabetisierungsprogramme besonders für afrikanische und arabische Länder. Unter der Regierung von Djilma Roussef und dem Bildungsminister Fernando Haddad wurde Paulo Freire 2012 posthum zum Patron des brasilianischen Bildungswesens erklärt. Seitdem steht eine lebensgroße Büste vor dem Ministerium in Brasília. Anfang Mai 2019 entzog der neue Bildungsminister Weintraub Paulo Freire, dem „Schandmal für die Bildung in Brasilien“, diese Ehrung und erhielt prompt per Twitter Beifall von Olavo.
Neue Curricula
Bolsonaro bezeichnet Olavo als seinen Guru und Berater. Es wird vermutet, dass er ihn auch als Astrologen konsultiert. Im Augenblick sieht es so aus, dass die Olavisten im Bildungsministerium die Oberhand gewinnen. Weintraub kündigte die Streichung aller Gelder für die drei renommierten staatlichen Universitäten von Brasília, Bahia und Rio de Janeiro an, die er als „Brutstätten kommunistischen Gedankenguts“ sieht. Da massive Proteste von diesen Universitäten befürchtet wurden, wurde diese Streichung nicht umgesetzt, sondern eine lineare Kürzung um 30% des Budgets aller staatlichen Universitäten angekündigt. Das eingesparte Geld soll zur Einführung neuer Curricula in den Grundschulen verwendet werden. Auch hier geht es darum, die kritische Geschichtsschreibung, besonders über die Zeit der Militärdiktatur, umzuschreiben, christliche Werte zu propagieren, Homosexualität, Abtreibung und „nicht- brasilianischen Lebenswandel“ zu verurteilen. Klimawandel ist eine Lüge, die Abholzung des Regenwaldes, Brandrodungen für Sojaanbau oder Weideflächen werden als dem nationalen Fortschritt dienend, verherrlicht.
Bolsonaro für alles
Mit Sorge sehen Beobachter, dass Bolsonaro seinem Bildungsminister weitgehend freie Hand bei der Besetzung von Stellen im Ministerium gibt. Mittlerweile ist keine Position der oberen und mittleren Führungsebene mehr mit Militärs, geschweige denn mit ausgewiesenen Pädagog*innen oder mit Leitungsaufgaben erfahrenen Personen besetzt. Weintraub setzt auf Vertraute aus dem Wirtschafts- und Bankenbereich. Olavo twittert hierzu seine Zustimmung, da er in ihnen Garanten für die Bildungsfinanzierung von für die Nation nützlichen Fächern sieht. Bolsonaro setzt auf Grundschulbildung für die Umerziehung des Volkes. Durch Aufrufe zur Denunziation, neue Curricula, Umschichtung in der Bildungsfinanzierung auf der einen Seite und einem Olavotreuen Ministerium auf der anderen Seite, will der rechtsradikale Präsident seine Ideologie in der ganzen Breite durchzusetzen. Am Ende will Jair Messias seinen Wahlspruch umgesetzt sehen: „Bolsonaro para tudo, Deus para todos“ („Bolsonaro für alles. Gott für alle“).