In einem „100-Tage-Programm Wissenschaftspolitik“ macht die GEW der neuen Bundesregierung Vorschläge, um die Situation von Lehrenden an Universitäten und Hochschulen zu verbessern.
22.11.2021 - Jeannette Goddar, freie Journalistin, für die GEW Bund
Wer sich für Bildung interessierte, musste während der Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP viel Geduld aufbringen; wenig bis nichts drang an die Öffentlichkeit durch. Umso erstaunlicher, dass mit Oliver Kaczmarek (SPD), Kai Gehring (Grüne) und Thomas Sattelberger (FDP) Unterhändler aller drei Ampel-Parteien am 17. November nur wenige Meter vom Berliner Regierungsviertel einer Einladung der GEW zu einer weiteren #IchbinHanna-Aktionskonferenz folgten.
„In die Höhle des Löwen“ hätten sie sich vorgewagt, stellte Andreas Keller fest. Nun mag man das für ein sehr selbstbewusstes Statement halten – doch immerhin hatte der stellvertretende GEW-Vorsitzende die Ampelparteien mit einer doch recht langen Liste an „Vorschlägen für die ersten 100 Tage“ konfrontiert.
Darin enthalten: eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) sowie des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAFöG), beide Bundessache und somit ohne Zustimmung des Bundesrates möglich. Zudem solle der Bund, wo er mitfinanziert – wie im Rahmen des Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken und dem Pakt für Forschung und Innovation – die Vergabe von Geldern an Kriterien Guter Arbeit sowie an Tarifbindung koppeln.
„Wer zahlt, schafft an“, so Andreas Keller, „der Bund finanziert die Wissenschaft mit über zehn Milliarden Euro jährlich. Er muss Verantwortung dafür übernehmen, dass mit dem Geld faire Beschäftigungsbedingungen finanziert werden.“ Zur Untermauerung überreichte Keller Oliver Kaczmarek ein Päckchen mit 12.500 Namen: die bis zu diesem Zeitpunkt gesammelten Unterschriften der GEW-Petition „Dauerstellen für Daueraufgaben“ für stabilere Beschäftigungsbedingungen.
Dauerstellen schaffen
Auf dem Podium, von der taz-Journalistin Anna Lehmann moderiert, wurde eine der GEW-Forderungen im Grunde für bearbeitet erklärt: Eine „vernünftige Ausbildungsförderung auf die Beine zu stellen“, werde „schnell gehen“, erklärte Kaczmarek, und: „Das wird auch etwas kosten.“ Die SPD strebt eine „schrittweise Rückkehr zum Vollzuschuss an“.
Die GEW fordert allerdings zusätzlich eine längere Förderdauer sowie eine Erhöhung der Einkommensgrenzen der Eltern; die derzeitigen Grenzen seien wesentlich dafür verantwortlich, dass nur noch etwas mehr als jeder zehnte Studierende (11 Prozent) BAföG erhält.
„Substanzielle Verbesserungen“ kündigte Kaczmarek beim WissZeitVG an. Die Frage, wie viel Prozent Dauerstellen er sich am Ende der Legislatur wünsche, wollte er nicht beantworten („Vielleicht in zwei Wochen“). Doch es gehe um „deutlich mehr dauerhaft Beschäftigte in Daueraufgaben.“
Thomas Sattelberger, FDP, wagte sich weiter hervor: Sein Ziel: Die Zahl der befristet Beschäftigten auf 60 Prozent zu reduzieren, auf einer „mehrjährigen Schiene“. Als Mittel regte er Zielvereinbarungen mit der Hochschulrektorenkonferenz an. Denen müsse, anders als bei jenen zu Frauen in Führung, dann jedoch auch „nachgegriffen“ werden. Die Unverbindlichkeit von Zielvereinbarungen erklärte Sattelberger auch bei der Frauenförderung zum Problem.
Kai Gehring stimmte zu: Er wolle „mehr Geschlechtergerechtigkeit, mehr Diversity“ erleben. Die einzige Vertreterin der künftigen Opposition auf dem Podium war Petra Sitte für Die Linke – die AfD war nicht eingeladen, die CDU/CSU nicht erschienen. Sie sagte, sie sei „gespannt, ob der Koalitionsvertrag noch etwas mit den Wahlprogrammen zu tun hat.“ Die GEW fordert, dass im WissZeitVG verbindlichen Laufzeiten, mehr Dauerstellen sowie eine bessere Vereinbarkeit vom Beruf und Familie festgeschrieben werden.
Und was darf das kosten? Sattelberger, an dessen Partei größere Investitionen am ehesten scheitern dürften, erklärte, die FDP sei nicht „gegen Ausgaben, doch für einen sorgsamen Umgang.“ Die GEW forderte er auf, ein „halbstündiges Auflisten von Forderungen“ auch „mit Zahlen zu versehen.“ Andreas Keller hielt entgegen, Dauerstellen seien im Grunde nur die tarifüblichen Gehaltserhöhungen teurer als stets wechselnde befristet Beschäftigte. Ein Betriebsrat des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung warf via Chat ein: Die Kosten, die der Brain Drain, das Burnout oder das „Hire-and-Fire“-Prinzip in der Wissenschaft verursachten, würden von der Politik ebenfalls nicht berücksichtigt.
Kulturwandel nötig
Weiteres Thema der #IchbinHanna-Konferenz war ein struktureller Umbau des Wissenschaftssystems: weg vom Lehrstuhlprinzip, hin zu Departments. Grüne wie SPD ließen eine Chance auf bundesfinanzierte Pilotprogramme durchblicken. Es brauche „niedrigschwellige Einstiege, die dann möglichst mehr mitnehmen“, so Kaczmarek.
Auf dem ersten Podium des Tages berichtete die Hochschulforscherin Antonia Scholkmann von ihrer Universität in Dänemark, dort gebe es statt „Königreichen“ eine „kollegiale Zusammenarbeit entfristet Beschäftigter“. Strukturen wie in den USA und Skandinavien führten dazu, „dass man mehr an einem Strang zieht,“ erklärte Ruth Mayer, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien, die zu den Fachgesellschaften zählt, die sich für eine Reform des WissZeitVG ausgesprochen haben.
Mehrfach angesprochen wurde ein überfälliger Kulturwandel, der mit einer Strukturreform einhergehen könnte. Reyhan Şahin (#IchbinReyhan), promovierte Sprachforscherin, und auch als Rapperin Lady Bitch Ray bekannt, schilderte ihren Wechsel von der Bühne in die Universität. Erwartet habe sie eine „liberale, aufgeklärte Umgebung“, angetroffen habe sie „patriarchale Professoren-Harems“. Diese aufzubrechen, sei nicht nur wegen des offensichtlichen Machtmissbrauchs nötig: „Es darf nicht sein, dass an Hochschulen nur ein bestimmter Habitus gefördert wird.“
Sebastian Kubon, einer der Initiatoren des Hashtags #IchBinHanna, forderte Wege, die Kopplung von Stellen an befristete Forschungsthemen zu beenden: In der privaten Wirtschaft würden „Menschen ja auch erst ein Projekt und dann ein anderes“ bearbeiten.