Vom Dr. Prekär zum Prof. Dr. Depressiv

Lehrende an deutschen Hochschulen sind so produktiv wie nie – gleichzeitig häufen sich psychische Probleme

Dass die gestiegenen Anforderungen, denen die Studierenden im neu eingeführten Bachelor-Master-Studiensystem ausgesetzt sind, auch gesundheitliche Folgen hat, die sich u.a. in überproportionalem Auftreten von psychischen Erkrankungen bei Studierenden zeigen, wurde in jüngster Vergangenheit bereits festgestellt.[1] Nun mehren sich Befunde, die zu dem Schluss gelangen, dass auch die Lehrenden unter dem verschärften Druck in Folge der vielfältigen Reformen in Hochschule und Studium der letzten Jahre leiden.

Seelisches Ausbrennen von Wissenschaftler/innen so „normal wie eine Erkältung im Winter“

Offen werde kaum über das Thema geredet, da Scheitern im Hochleistungsapparat Hochschule als Tabu gelte, so Martin Spiewack in einem Artikel von Zeit Online mit dem Titel „Prof. Dr. Depressiv“.[2] Das Institut für Psychiatrie der Berliner Charité erhalte jedoch vermehrt Anfragen von Professor/innen, die von chronischen Kopf- oder Rückenschmerzen, von Freudlosigkeit oder latenter Aggressivität berichteten, die deutsche Universitätszeitung (DUZ) erklärte kürzlich das seelische Ausbrennen von Wissenschaftler/innen für so „normal wie eine Erkältung im Winter“.[3] In den USA werde bereits von der post-tenure depression gesprochen – als Diagnose für all die Kolleg/innen, die sich im Wissenschaftssystem bis zu einer Professor/innenstelle hochgekämpft haben. Eine Therapeutin, die junge Wissenschaftler/innen auf ihre Rolle als Dozent/innen vorbereitet, stellte gegenüber ZEIT Online fest, dass die die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen an den Hochschulen selbstschädigendes Verhalten förderten.

Studierendenzahlen wachsen, Zahl der Lehrenden stagniert, Beschäftigungsbedingungen werden schlechter

Seit Jahren stehen die Beschäftigten in den Hochschulen unter Druck: Sie müssen die Studienreform bewältigen, immer mehr Studierende ausbilden und – auch zur Sicherung der eigenen Arbeitsplätze – Anträge um Fördermittel verfassen sowie alle ihre Leistungen als Kennzahlen transparent machen (Betreute Abschlussarbeiten, Publikationen, Drittmittel). Dieser neue Wettbewerb auf allen Ebenen gibt den Takt vor – und hat innerhalb weniger Jahre eine an den Kennziffern ablesbare Produktivitätsexplosion ausgelöst. Niemals zuvor wurde an deutschen Hochschulen so viel ausgebildet und geforscht wie heute. Das Personalvolumen dagegen stagniert – weder werden der Steigerung der Studierendenzahlen entsprechend neue Stellen geschaffen noch werden die aktuellen Daueraufgaben in Forschung und Lehre auf Dauerstellen ausgeübt.[4]

Effizienzsteigerung zu Lasten des Personals

Die Produktivitätssteigerung ist ausschließlich durch die erhöhte Arbeits- und Einsatzbereitschaft des wissenschaftlichen Personals realisiert worden. Nun fordert die Reform Tribut bei ihren Trägern, den wissenschaftlich Beschäftigten an den Hochschulen. „Verbleib und Erfolg in der Wissenschaft“, so die GEW in ihrem Wissenschaftspolitischen Programm, „zwingen unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen zur Selbstausbeutung und zu Arbeitsformen und Arbeitszeiten, die gesellschaftlich destruktiv sind“[5] – ein Befund, dessen erste Symptome sich aktuell zeigen.

Strukturdefizite: Vom Dr. Prekär zum Prof. Dr. Depressiv

Wird der gesamte wissenschaftliche Mittelbau unterhalb der Professur bisher als ‚Nachwuchs’ abqualifiziert und auch mit Hilfe dieser Beschreibung das Befristungsunwesen des wissenschaftlichen Personals unterhalb der Professur legitimiert, zeigen die neuen Befunde nun, dass auf diese ‚Lehrjahre‘ keine ‚Herrenjahre‘ (mehr) folgen – wenn überhaupt bis zur Professur vorgedrungen wird. Der Weg über den Mittelbau auf die Professur führt nicht zu  Muße ‚in Einsamkeit und Freiheit‘ (Humboldt), sondern die Anforderungen des unternehmerischen Hochschulalltages führen die neu Berufenen in die post-tenure depression.

Vorbeugen ist besser…

Um einem professoralen Burnout vorzubeugen ist es das beste Mittel, die Wege zur Professur so zu gestalten, dass eine post-tenure depression nicht wie bisher durch prekäre Beschäftigungsbedingungen, Kettenverträge und Lehraufträge, die den Alltag des wissenschaftlichen Mittelbaus darstellen, begünstigt wird. Hierzu fordert die GEW im Templiner Manifest,[6]

  1. die Promotionsphase besser abzusichern und zu strukturieren, u.a. durch tarifvertraglich geregelte Beschäftigungsverhältnisse zur Qualifikation mit Sozialversicherungsschutz, die mindestens drei Viertel der Arbeitszeit für die eigenständige Qualifikation vorsehen,
  2. Postdocs verlässliche Perspektiven zu geben, u.a. durch einen Tenure Track, der den dauerhaften Verbleib in Hochschule und Forschung ermöglicht – unabhängig davon, ob eine Berufung auf eine Professur erfolgt oder nicht,
  3. Daueraufgaben auf Dauerstellen zu erfüllen, d.h. ausreichend Stellen zu schaffen, auf denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit unbefristeten Verträgen Wissenschaft als Beruf ausüben können, sowie
  4. prekäre durch reguläre Beschäftigung zu ersetzen, d.h. die Ausbeutung von Lehrbeauftragten als Dumping-Lehrkräften beenden und dort, wo sie dauerhaft Lehr- und Prüfungsaufgaben wahrnehmen, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse schaffen.

Im Gleichgewicht lehren, forschen und leben

Die GEW fordert eine Reform von Personalstruktur und Berufswegen in Hochschule und Forschung mit dem Ziel, Lehren, Forschen und Leben im Gleichgewicht zu ermöglichen – auch und insbesondere um somit übermäßigen psychischen Belastungen in allen Qualifikationsstufen vorzubeugen. „Wissenschaft ist ein normaler Beruf, auch Wissenschaftler/innen  haben ein Recht auf eine Work-Life-Balance“, so die GEW im Templiner Manifest – Für eine Reform von Personalstruktur und Berufswegen in Hochschule und Forschung. Professor/innen und wissenschaftlicher Mittelbau sollten gemeinsam gegen die aktuellen Tendenzen vorgehen – die GEW steht an ihrer Seite.

 

Fredrik Dehnerdt, Fachgruppe Hochschule und Forschung und 2. stellvertretender Vorsitzender

 

[1] GEW (20099: Der Bologna-Prozess zwischen Anspruch und Wirklichkeit (www.gew.de/Binaries/Binary52190/090903_Bologna-Endfassung_final-WEB.pdf)

[2] Prof. Dr. Depressiv (www.zeit.de/2011/45/Professoren-Burnout)

[3] www.duz.de

[4] Siehe hlz 3-4/2011, hlz 8-9/2011, hlz 10-11/2011

[5] Wissenschaftspolitisches Programm der GEW (www.gew.de/Wissenschaftspolitisches_Programm_der_GEW.html

[6] Templiner Manifest der GEW (www.templiner-manifest.de)