Die Mittelbau-Initiative Hamburg, die GEW Hamburg und die Konferenz des Akademischen Persionals (KAP) haben am Abend des 02. März zu einer Podiumsdiskussion an die Universität Hamburg eingeladen. Thema: Wie lassen sich Dauerstellen im akademischen Mittelbau schaffen? Auf dem Podium diskutierten: Prof. Dr. Jetta Frost (Vizepräsidentin der Universität Hamburg), Miriam Block (Mitglied der Hamburger Bürgerschaft für die Partei Die Grünen, Sprecherin für Wissenschaft und Hochschule), Tobias Schulze (Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für die Partei Die Linke) sowie Ralf Streibl (Stellvertretender Vorsitzender des Personalrats, Universität Bremen und Sprecher der Fachgruppe Hochschule und Forschung, GEW Bremen). Moderiert wurde die Diskussion von Dr. Sören Deister von der Mittelbau Initiative Hamburg.
Die Ausgangslage: Die Befristungsquote des akademischen Mittelbaus liegt erschreckend hoch. Deutschlandweit sind über 80% des wissenschaftlichen Personals unterhalb einer Professur nur befristet angestellt. Selbst wenn Promovierende nicht mit eingerechnet werden sind es immer noch über die Hälfte der Wissenschaftler:innen, die sich einer ungewissen Zukunft gegenüber sehen obwohl sie essenzielle Daueraufgaben in Forschung und Lehre übernehmen. Gegen diese prekären Arbeitsbedingungen gibt es seit jeher viel Protest von Mittelbauinitiativen und Gewerkschaften. Die Online-Kampagne #IchbinHanna hat dem Thema in den letzten Monaten zusätzliches Gehör verschafft. Dabei wird nicht mehr ernsthaft darüber diskutiert, ob der Befristungswahnsinn tatsächlich ein Problem ist, sondern wie sich dieses Problem lösen lässt.
In Hamburg wird dies seit fast einem Jahrzehnt in einer von der Wissenschaftsbehörde eingesetzten Arbeitsgruppe Code of Conduct diskutiert. In dieser sollen alle Beteiligten (Hochschulen, Behörde und Arbeitnehmer) Konzepte entwickeln, die zu mehr Dauerbeschäftigung führen. Bisher blieben erwähnenswerte Ergebnisse jedoch aus und die Gruppe schien bis vor kurzem dysfunktional. Erst durch Protest der Arbeitnehmer:innenseite wurde die Arbeitsgruppe wiederbelebt. Die anderen Stadtstaaten sind Hamburg hier bereits voraus und das auf unterschiedlichen Wegen:
In Berlin wurde das in der Hochschulvereinbarung festgelegte Ziel von 35% unbefristeten Mittelbaustellen von den Hochschulen seit jeher weit verfehlt. Daraufhin hat das Berliner Abgeordnetenhaus Anfang 2022 – nach einem vorhergegangenen Diskursprozess mit allen Beteiligten – eine Novelle des Berliner Hochschulgesetzes (BerHG) beschlossen, welche die Hochschulen in die Pflicht nahm, promovierte Wissenschaftler:innen auf Hausstellen zu entfristen. Tobias Schulze hat diese Novelle maßgeblich mitgestaltet und berichtete vom Entscheidungsprozess und den Reaktionen. So wurde festgeschrieben, dass Mittelbaustellen ab der Promotion grundsätzlich unbefristet sein sollten. Außerdem sei mit der Promotion die akademische Ausbildung abgeschlossen und eine Qualifikationsbefristung nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) nicht mehr angemessen. Gegen die Novelle gibt es seitens der Hochschulleitungen viel Protest: So hat die Humboldt-Universität vor dem Verfassungsgericht eine Beschwerde gegen die Novelle eingereicht. Da im Herbst dieses Jahres die Übergangsfrist des Gesetzes endet, befinden sich die Hochschulen jedoch in der aktiven Planung zur Umsetzung der Entfristungen. Eine Herausforderung der Umsetzung sei laut Tobias Schulze, dass sich mit einem Wandel zu mehr stetigem Personal im Mittelbau auch die Personalstrukturen an den Hochschulen ändern müssten.
In Bremen war es nicht die Landespolitik, die aktiv wurde, sondern die Bremer Universität selbst. Unter dem Motto „Neue Wege im akademischen Mittelbau“ sind wissenschaftlich selbstständige und unbefristet beschäftigte Positionen im akademischen Mittelbau geschaffen worden. Promovierte haben dadurch in einem Tenure Track Verfahren die Chance auf eine unbefristete Stelle entweder mit Schwerpunkt in der Lehre (Lecturer) oder in der Forschung (Researcher). Ralf Streibl ist seit Jahren im Personalrat und der akademischen Selbstverwaltung an der Universität Bremen aktiv. Mittlerweile sei das Konzept der Stellen gut angenommen worden, auch wenn die Anzahl dieser Stellen noch überschaubar sei und ihre Struktur einer stetigen Nachjustierung durch die akademische Selbstverwaltung bedürfen. Ralf Streibl betonte die Wichtigkeit transparenter und realistischer Kriterien im Auswahlverfahren und Tenure Track. Eine anfangs zu hoch angesetzte Lehrverpflichtung für Lecturer wurde inzwischen angepasst. Weiterer Nachbesserungsbedarf bestehe in der mangelnden Flexibilität innerhalb der Lecturer- und Researcher-Ebene. Zwischen diesen Kategorien sollte leichter zu wechseln sein – z. B. wenn ein Lecturer ein neues Drittmittelprojekt eingeworben hat, welches mehr Zeit für die Forschung erfordert. Eine sogenannte Verstopfung der Senior Researcher und Lecturer Stellen – vor der die letzten Fürsprecher:innen des Befristungswahnsinns stetig warnen – sei jedoch nicht zu erkennen, da viele erfahrene Wissenschaftler:innen den nächsten Karriereschritt gehen und Rufe an andere Hochschulen erhalten.
Können diese Maßnahmen als Beispiel für die Stadt Hamburg und ihre Hochschulen dienen? Dazu äußerten sich aus Hamburg Prof. Dr. Jetta Frost von universitärer Seite und Miriam Block von politischer Seite. Prof. Frost sah den Prozess zu mehr Dauerstellen im akademischen Mittelbau an der Universität Hamburg noch am Anfang. Über eine Ideenwerkstatt und Anfragen an die Fakultäten zum Bedarf an dauerhaftem Personal hinaus gibt es bisher keine konkreten Maßnahmen. Durch die Exzellenz-Cluster und damit einher gehenden Infrastrukturprojekten an der Universität sei außerdem ein großer Bedarf an higher-education professional positions entstanden. Das Bremer Modell beobachte sie gespannt und auch ein Treffen mit der Hochschulleitung der Universität Bremen gab es bereits. Miriam Block betonte im Hinblick auf eine mögliche Nachahmung des Bremer Modells, dass Forschung und Lehre zusammengehören und nicht personell getrennt geleistet werden sollten. Auch oftmals diskutierte Department-Strukturen als Gegenentwurf zum traditionellen Lehrstuhl-Modell seien nicht unkritisch zu sehen, da die Gefahr einer Homogenisierung der Forschungsthemen damit einhergehe. Generell gelte jedoch auch in Hamburg der Grundsatz, dass Dauerstellen im akademischen Mittelbau der Regelfall sein sollten. Zur genauen Ausgestaltung dieser warte die Bürgerschaft auf Input seitens der AG Code of Conduct. Moderator Sören Deister bemerkte unter Zustimmung des Publikums, dass in Hamburg viel geredet, aber wenig konkretes umgesetzt wird. Immerhin bestehe die AG Code of Conduct schon seit fast einem Jahrzehnt und die Fehlanreize durch das WissZeitVG sind ebenfalls seit langem bekannt. Prof. Frost konnte dazu lediglich zu Geduld mahnen und bat um Verständnis dafür, dass die Einrichtung neuer Personalmodelle viel Zeit benötige.
Auch aus dem Publikum gab es zahlreiche Wortmeldungen und Fragen. Hierbei wurde erneut der Frust seitens der Betroffenen spürbar. Die bestehenden Regelungen und knappen Mittel würden zu vielen Problemen führen. Das betrifft sowohl die Weiterbeschäftigung vorhandenen Personals als auch die Schwierigkeit, neue Stellen gut zu besetzen. Weiterhin wurde nachgefragt inwiefern bei den derzeitigen Überlegungen Inklusion und Gleichstellung mitgedacht werden. Miriam Block äußerte dazu einige Überlegungen, u.a. solle man Auslandserfahrung als Voraussetzung bei Einstellungen überdenken, sowie besseren Zugang zu Gebärdensprachdolmetscher:innen an der Universität ermöglichen. Auch Prof. Frost erkannte das Problem der mangelnden Inklusion an und wies darauf hin, dass selbst in stark weiblich geprägten Studiengängen die meisten Professuren von Männern besetzt seien. Dem müsse durch besondere Bemühungen beim Scouting sowie generell eine höhere Transparenz bei Betreuungsverhältnissen entgegengewirkt werden.
Was Hamburg von Bremen und Berlin lernen könnte? Sowohl Ralf Streibl als auch Tobias Schulze betonten bei Umstrukturierungen auf angemessene Übergangsfristen zu achten – auch um die Akzeptanz für den Prozess nicht zu gefährden. Am meisten solle Hamburg jedoch Mut zur Veränderung zeigen, um dem akademischen Mittelbau endlich Perspektiven bieten zu können.
Unser Fazit: Der Unmut über die Befristungspraxis im akademischen Mittelbau ist in der Politik und bei den Hochschulleitungen angekommen. Die Situation bleibt jedoch problematisch. Während in Hamburg noch geredet wird, werden in den anderen Stadtstaaten schon konkrete Beschlüsse im Sinne des Mittelbaus gefasst - mit dem Bewusstsein, dass diese Lösungen stetig nachgebessert werden müssen.
Nachgebessert werden soll auch auf Bundesebene – jedoch entgegen der Interessen des akademischen Mittelbaus. Der Befristungswahnsinn wird über das WissZeitVG überhaupt erst ermöglicht. Ein kürzlich veröffentlichtes Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur WissZeitVG-Reform sieht eine Verkürzung der Höchstbefristungsdauer von Post-Docs von 6 auf 3 Jahre vor. Würde dies gesetzlich festgeschrieben werden verschärft sich die Notlage des akademischen Mittelbaus noch weiter.
Es bleibt jedoch auch fest zu halten: Kein Gesetz verbietet den Hochschulen, schon jetzt promovierte Wissenschaftler:innen ohne Befristung einzustellen. Die Forderung des Mittelbaus, die Befristung ab der Promotion gesetzlich zu verbieten, entsteht erst durch den jahrelangen Missbrauch des WissZeitVG durch die Hochschulen. Daher sind sowohl die Hochschulen als auch die Politik in der Verantwortung, konkrete und wirksame Maßnahmen vorzunehmen, um endlich allen Wissenschaftler:innen Arbeit unter fairen Bedingungen zu ermöglichen.
Wir möchten uns sowohl bei unseren Gästen auf dem Podium, als auch im Publikum herzlich für die spannende Diskussion bedanken. Der Weg zu fairen Arbeitsbedingungen für den akademischen Mittelbau ist noch lang und muss kritisch begleitet werden. Dafür werden sich sowohl die Mittelbau Initiative Hamburg als auch die GEW Hamburg weiterhin einsetzen. Wir möchten dazu allen ans Herz legen, sich zu engagieren. Denn die Vergangenheit zeigt: Ohne Protest wird sich nichts bewegen.
Weitere Informationen finden Sie auf www.mittelbau-hamburg.de