Befristung als Disziplinierungsinstrument

Ein aktuelles worst-practice-Beispiel an der ehemaligen Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP)

Die HWP wurde 2004 aufgelöst und in die Universität Hamburg eingegliedert, seit 2009 ist sie als Fachbereich Sozialökonomie einer von vier Fachbereichen der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Einerseits wurden dabei die in der HWP vorfindlichen Steuerungsstrukturen stark verändert und sind zunehmend unternehmerisch gestaltet, andererseits hat sich eine Organisations- und Diskussionskultur erhalten, die durchaus noch an ihre Gründungsidee anknüpft und sie weiterträgt. Gegen solche Tendenzen wird – wie ein aktuelles Beispiel zeigt – von Seiten der Verantwortlichen immer wieder vorgegangen mit dem Ziel, Studierende wie Beschäftigte zu disziplinieren.

 

1948 gründeten Gewerkschaftler_innen und Sozialdemokrat_innen, die nach den Erfahrungen während des Nationalsozialismus die Hochschulen demokratisieren und reformieren wollten, die Hamburgische Akademie für Gemeinwirtschaft und verbanden mit dieser Neugründung zwei Ziele: Einerseits gingen sie davon aus, dass die in Deutschland recht junge Demokratie Führungskräfte benötige, die ein demokratisches Gesellschafts- und ein kritisches Wissenschaftsverständnis miteinander verbinden, zweitens ging es ihnen darum, den Erwerb der bisher einer kleinen gesellschaftlichen Elite vorbehaltenen akademischen (Aus-)Bildung unter Arbeiter_innenkindern stärker zu fördern.

 

Die Akademie für Gemeinwirtschaft Hamburg

Die Akademie für Gemeinwirtschaft sollte vor allem solchen Bewerbern offen stehen, „die durch die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse oder durch die besonderen Zeitumstände bisher von einer Hochschulbildung ausgeschlossen waren“ (Zulassungsordnung von 1953). Zugangsvoraussetzung für ein Studium war nicht das Abitur als ‚bürgerlicher Königsweg‘, sondern das Bestehen einer Aufnahmeprüfung, an der alle Personen mit einem Hauptschulabschluss und einer gewerblichen Berufsausbildung teilnehmen konnten. Diese Zugangsweise charakterisierte die Akademie als eine Institution des sogenannten Zweiten Bildungswegs. 1961 wurde sie in Akademie für Wirtschaft und Politik umbenannt und 1970 in die Hochschule für Wirtschaft und Politik umgewandelt. Anfang der 1980er Jahre wurde das Studium, das nach sechs Semestern zu einem Abschluss als Sozialwirt, Betriebswirt bzw. als Volkswirt geführt hatte, durch ein dreisemestriges sozialökonomisches Studium ergänzt, dessen Abschluss zur Promotion berechtigte. Von 1991 bis zum 31. März 2005 war die HWP eine selbständige Universität als Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP).

 

Die Zerschlagung der HWP im Jahr 2005

Der von dem damaligen CDU-geführten Senat eingesetzte Wissenschaftssenator Jörg Dräger machte nie einen Hehl aus seinem Vorhaben, die HWP zu zerschlagen und in eine neu zu gründende, von Fachbereichen der Universität dominierte, Fakultät einzugliedern. Das Alleinstellungsmerkmal der HWP, auch Menschen ohne Abitur in einer Quote von 40 Prozent ein Hochschulstudium zu ermöglichen war ebenso wie ihr Leitbild einer gesellschaftlichen Demokratisierung Dräger ein Dorn im Auge. Dieser Angriff des Hamburger Senats auf eine erfolgreiche Institution des sogenannten Zweiten Bildungswegs wurde insbesondere von Seiten der Studierenden mit der Kampagne HWP in Bewegung – Für eine kritische Wissenschaft beantwortet. Mit Demonstrationen und Streiks, mit Besetzungen und mit einer Volksinitiative wurde für den Erhalt der HWP gekämpft (vgl. Hauer, Rogalla, 2009). Trotz der Proteste wurde sie zum 1. April 2005 als Department Wirtschaft und Politik (DWP) in die Universität Hamburg integriert. 2009 wurde das Department aufgelöst und bildet seitdem als Fachbereich Sozialökonomie gemeinsam mit den Fachbereichen Betriebswirtschaftslehre, Sozialwissenschaften und Volkswirtschaftslehre die Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg.

Im Kontext des Befristungsunwesens an den Hochschulen und den Forschungseinrichtungen bundesweit und insbesondere an der Universität Hamburg kommt es immer wieder dazu, dass die ‚Kettenbefristung‘, d.h. der Abschluss eines neuen befristeten Vertrages, als Disziplinierungsinstrument verwendet wird, um Lehrende durch die Drohung der Nichtweiterbeschäftigung an einem nicht gewünschten, widerständigen Verhalten zu hindern.

 

Widerständigkeiten in der unternehmerischen Hochschule

Peter Birke ist im Fachbereich Sozialökonomie in langjähriger ‚Kettenbefristung‘ als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Lehre beschäftigt. Er lehrt grundständige Kurse wie Politische Geschichte und Soziologie der Arbeitswelt sowie im Masterstudiengang Ökonomische und Soziologische Studien. Parallel hierzu ist er seit vielen Jahren stadtsoziologisch und stadtpolitisch aktiv. Er forscht, publiziert und referiert insbesondere zu den Themen ‚Streit um Freiräume‘, Arbeitskämpfe und ‚Wilde‘ Streiks sowie zum Verhältnis von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Er ist bundesweit für seine Veröffentlichungen und wissenschaftlichen Arbeiten anerkannt. Mit seinem Lehr- und Forschungsprofil trägt er somit nicht nur nach Ansicht vieler Studierender und Lehrender zum Erhalt der Tradition der ehemaligen HWP bei, sondern setzt sich darüber hinaus für eine interdisziplinär betriebene Sozial- und Wirtschaftwissenschaft und für einen offenen Hochschulzugang ohne Abitur ein.

 

Wer klagt, fliegt raus! – Abwicklung eines erfolgreichen Schwerpunktes und beliebten Lehrenden

In Folge eines Rechtstreites der GEW, in dem eine wissenschaftliche Mitarbeiterin bis zum Bundesarbeitsgericht erfolgreich auf Entfristung klagte und in Folge dessen eine Vielzahl von befristeten Arbeitsverträgen bundesweit – wie auch des Betroffenen – geprüft wurden und werden, aber auch auf Grund seiner Lehrinhalte wurde Peter Birke von Seite des Fachbereiches im Januar 2012 mitgeteilt, dass eine Verlängerung seines zum 15. Mai 2012 auslaufen Arbeitsvertrags nicht möglich sei. Zudem soll er mit diesem Datum auch seine Prüfungsberechtigung verlieren, d.h. die Möglichkeit, dass Studierende bei ihm Haus- und Abschlussarbeiten, aber auch mündliche Prüfungen absolvieren können. Begründet wurde diese Maßnahme mit dem Argument, dass die von ihm angebotenen Kurse ‚keine Daueraufgaben‘ darstellten und unter anderem das Fach Politische Geschichte vollständig aus dem Curriculum entfernt werden solle. Stattdessen sollen mehr Methodenveranstaltungen angeboten werden.

 

Richtungsstreit der Verantwortlichen zu Lasten guter Lehre

Was die Auswahlmöglichkeiten innerhalb des Fachbereichs angeht, verlieren jetzt viele Studierende aus dem Masterstudiengang Ökonomische und soziologische Studien ihren Masterarbeitsbetreuer und einige Themenschwerpunkte können ab dem Sommersemester überhaupt nicht mehr angeboten werden. Offen ist, was nach dem angekündigten Betreuungsverbot mit den von ihm aktuell betreuten Studierenden passiert. Offen ist darüber hinaus, inwiefern die Universität die Betreuungstätigkeit, die ansonsten von ihr gerne zum ‚Nulltarif‘ abverlangt wird (vgl. hlz 1-2/2012), überhaupt entziehen kann. In einem Offenen Brief der Masterstudierenden an die Verantwortlichen des Fachbereichs Sozialökonomie aus dem März 2012 wird festgestellt, dass für eine zügige und erfolgreiche Bewältigung des Masters die Verlässlichkeit und Planbarkeit der Studienorganisation unabdingbar sei. Aufgestellt werden folgende Forderungen:

 

Der Lehrauftrag für den Kurs „Konflikt und sozialökonomischer Wandel“ wird wie vom Masterausschuss beschlossen an Dr. Peter Birke vergeben.

 

- Die vom Masterausschuss beschlossene Prüfungsberechtigung bleibt für die Zeit seines Lehrauftrages auch für die Masterarbeiten bestehen.

 

- Die Betreuung der Lernwerkstattarbeiten auch für Studierende, die die Prüfung nicht im ersten Anlauf bestehen, muss gesichert sein.

 

- Die Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen im Fachbereich Sozialökonomie müssen offen und transparent kommuniziert werden.

 

Seit Februar engagieren sich die Studierenden des FSR Sozialökonomie/HWP für den Erhalt des Fachgebiets und für die Entfristung der Stelle, die GEW und ver.di kündigten ihre Solidarität und Unterstützung an. Die GEW solidarisiert sich mit dem betroffenen Kollegen und unterstützt den Erhalt des Schwerpunktes sowie die Entfristung der hierfür vorhandenen Stelle, die eine Daueraufgabe darstellt.

 

Buchtipp:

Hauer/Rogalla (2009): HWP in Bewegung – Studierendenproteste gegen neoliberale Hochschulreformen, VSA-Verlag Hamburg

 

Aktuelle Informationen:

http://www.hwp-netz.de

http://www.fsr-sozoek.uni-hamburg.de