Nach acht Jahren an der Spitze des DGB Hamburg verlässt Katja Karger die Stadt, um in Berlin/Brandenburg als Bezirksvorsitzende zu kandidieren. Die dortigen Gewerkschaften haben sie einstimmig nominiert. Hier zieht sie Bilanz und schaut auf die vergangenen Jahre zurück.
Katja, mit welchem Gefühl wirst Du Hamburg verlassen?
Ich gehe mit schwerem Herzen, kein Frage. Ich habe total gerne in Hamburg gelebt und gearbeitet. Es war eine ausgesprochen spannende Zeit, in der ich wahnsinnig viel gelernt habe. Die Menschen in dieser Stadt haben mich mit offenen Armen empfangen und mir viele Türen geöffnet. Dafür bin ich sehr dankbar - ich werde viel vermissen.
Was hast du über die Stadt gelernt?
Als ich aus Berlin nach Hamburg kam, dachte ich, die beiden Städte seien gar nicht so unterschiedlich. Weit gefehlt. Hamburg ist sehr gut organisiert und eher zentralistisch regiert. Ich habe gelernt, dass die Hamburger*innen viel offener sind, als ihnen nachgesagt wird und sie unfassbar freundlich und höflich sind. Spannend war es zu verstehen, wie der Hafen funktioniert, dass in der Dienstleistungsstadt Hamburg das größte zusammenhängende Industriegebiet liegt und dass hier die gesellschaftlichen Kontraste am stärksten sind. Arm und Reich prallen aufeinander, die soziale Spaltung ist viel sichtbarer als anderswo.
Was nimmst Du aus Deiner Arbeit als Vorsitzende vor allem mit?
Besonders die Erinnerung an die vielen Hamburgerinnen und Hamburger, die sich für ihre Stadt engagieren. An all die Beschäftigten und Betriebs- und Personalräte, die sich für die Belange ihrer Kolleginnen und Kollegen einsetzen. Es sind tolle Menschen, die in dieser Stadt arbeiten. Ich habe in den acht Jahren meiner Amtszeit eine Menge großer Themen erlebt: die Flüchtlingssituation 2015, den G20-Gipfel und jetzt die Corona Pandemie. Das sind herausfordernde, aber auch bewegende Momente für eine Gewerkschafterin. In solchen Situationen die Chance zu bekommen, gestalten zu können, mit dafür zu sorgen, dass es besser läuft, das ist schon eine große Ehre.
Gibt es spezielle Momente, die besonders in Erinnerung bleiben?
Toll waren die Gespräche, die ich mit vielen Betriebs- und Personalrät*innen für unseren Podcast Solidaritalk führen durfte. Dabei habe ich einiges über die Kolleg*innen gelernt: Über ihren Antrieb, ihre Träume und wie sie zu dem geworden sind, was sie heute sind. Das waren sehr schöne Begegnungen. Aber auch unsere Ehrenamtskonferenz 2019 war eine klasse Veranstaltung. All die Kolleg*innen zu erleben, die mit Herzblut ihre Ämter ausfüllen und mich mit ihnen zu unterhalten, hat mich sehr gefreut. Nicht zuletzt die große Klimademonstration im Herbst 2019, als ich vor 100.000 Leuten auf der Bühne stand und es Applaus für unseren gewerkschaftlichen Ansatz gab, Arbeit und Ökologie zusammen zu denken.
Gerade in der Corona-Zeit istgewerkschaftliche Solidarität besonders gefragt. Was bedeutet Solidarität für dich?
Für einander einzustehen und Verantwortung zu übernehmen ist elementar wichtig in einer Gesellschaft, die immer häufiger von Eigeninteresse und Lieblosigkeit geprägt ist. In was für einer Welt wollen wir leben? In meiner Antwort spielt solidarisches Handeln, die Rücksicht auf die Schwächeren eine große Rolle. Mit Beginn der Corona-Pandemie war der Begriff Solidarität in aller Munde und wir müssen aufpassen, dass er nicht zur Hülle verkommt und von außen als Pflicht wahrgenommen wird. Echte Solidarität kommt von Herzen - oder gar nicht.
Gab es einen Moment, in dem du dir mehr Solidarität gewünscht hättest?
Es gibt Momente, da reicht die Solidarität nicht mehr, da muss mutig gehandelt werden. Der viele Applaus von den Balkonen für die Kolleg*innen in der Pflege war ein großer bewegender Moment – aber davon kann niemand seine oder ihre Miete bezahlen. Dass es weiterhin so schwierig ist, für diese Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen, hätte ich mir nicht vorgestellt. Für viele endet die Solidarität an ihrem Portemonnaie oder Gartenzaun, je nachdem, das ist für eine Gesellschaft aus meiner Sicht kein gutes Zeichen.
Corona verändert vieles, auch in der Gewerkschaftsarbeit. Was sollten wir mitnehmen aus dieser Zeit?
Die Flexibilität, mit der sich viele den neuen Bedingungen angepasst haben war beeindruckend. Und die werden wir weiter brauchen, denn nach Corona ist vor der Transformation. Da kommt sehr viel Veränderung in der Arbeitswelt auf uns zu. Ein gutes Beispiel ist das Homeoffice. Wir wollen, dass Beschäftigte ein Recht auf Homeoffice bekommen. Gleichzeitig darf es nicht als Vorwand genutzt werden, um Arbeitsbedingungen zu verschlechtern oder Outsourcing zu betreiben. Wir dürfen nicht vergessen: 60 Prozent der Beschäftigten machen gar kein Homeoffice, sondern arbeiten im Betrieb und halten von dort die Stadt am Laufen. Da darf es nicht zur Spaltung von Belegschaften kommen.
Unabhängig von Corona - welche politischen Projekte müssen aus Deiner Sicht am ehesten ganz oben auf die Agenda der Gewerkschaften?
Klimaschutz, Energiewende, Transformation – aber sozial. Die allermeisten haben inzwischen kapiert, dass wir unseren Planet nur retten, wenn wir jetzt sehr viel und sehr schnell tun. Auf einem toten Planeten gibt es keine Arbeitsplätze. Aber das funktioniert nur, wenn Unsicherheiten, Ängste und persönliche Umbrüche gut und fair aufgefangen werden. Die Gefahren müssen klar benannt und Vorsorge getroffen werden. Die Chancen müssen deutlich werden und der Wille, alle Menschen auf diesem Weg mitzunehmen. Da ist die Politik besonders gefragt, weil sie den Rahmen dafür stellen muss.
Ganz persönlich: Was wirst du für Bilder von Hamburg nach Berlin mitnehmen?
Die vielen Fahrten mit der Linie 62, die Eröffnung der Elphi, Konzerte im Hafen auf dem Gelände von Blohm&Voss. Ich erinnere mich des Windes und der Möwen, wie das Wasser der Alster plätschert und an den Geruch der Schiffe auf der Elbe. Aber auch an die vielen Besuche in den Betrieben und einem Containerschiff. Ich habe hier viel Solidarität erlebt, das wird bleiben. Danke an alle, die mit mir in den vergangenen Jahren diese Stadt bewegt haben.
Vielen Dank Katja und halt die Ohren steif in Berlin und Brandenburg!
Foto: DGB / Katja unterwegs auf einer Demonstration DGB HH