Es ist nicht mehr zu überhören und zu übersehen: Hamburg will sich um die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2024 bewerben. Wesentlich im Dreiklang zwischen der Handelskammer, dem Hamburger Sportbund und dem Hamburger Senat erfolgten die bisherigen Planungen, die vor allem vom Hamburger Abendblatt begeistert begleitet und propagiert wurden.
Nun bieten sportliche Großveranstaltungen grundsätzlich durchaus Potenziale, um moralische und ethische Werte wie Fairness, Toleranz, Integration, Freundschaft und Völkerverständigung zu fördern. Historisch gesehen waren diese Werte grundlegend insbesondere für die Begründung der Olympischen Spiele der Neuzeit. Insoweit kann die Olympische Idee durchaus positiv gesehen werden.
Allerdings schaffte es das Internationale Olympische Komitee (IOC) durch eine hemmungslose Kommerzialisierung, durch Fälle von Korruption, völlige Intransparenz der Entscheidungen in der Vergabe- und Durchführungspraxis sowie soziale und ökologische Sündenfälle, die Idee gründlich zu desavouieren. Mit dem Ergebnis, dass Volksabstimmungen in Österreich, der Schweiz, Deutschland (München/Garmisch-Partenkirchen) Norwegen die Durchführung von Olympischen Spielen in den letzten Jahren abgelehnt haben. In dieser Situation will sich Hamburg um die Sommerspiele 2024 bewerben. Der bisherige Verlauf der Bewerbung lässt deswegen wenig Gutes erwarten, weil insbesondere die mediale Förderung eher auf Emotionen und abstrakte "Olympia-Begeisterung" denn auf sachlich begründete Informationen als Grundlage für eine qualifizierte Entscheidung der Bevölkerung setzt.
Es fehlen bisher weitgehend eher hanseatisch nüchterne Stimmen, die die durchaus vorhandenen Chancen mit den ebenso zweifelsfrei gegebenen Problemlagen und Risiken abwägen und darüber eine breite öffentliche Debatte anstreben. Daran haben die genannten Akteure offenkundig kein Interesse. Daher soll hiermit der Versuch gemacht werden, einige Eckpfeiler für eine Diskussion aus gewerkschaftlicher Sicht zu benennen. Die GEW hat sich zu diesem für die Stadt und auch bildungspolitisch bedeutsamen Thema bislang nicht positioniert. Dies trifft außer einer Presserklärung aus dem August 2014 auch für den DGB Hamburg zu. Eine solche Diskussion berührt u.a. so viele soziale, ökologische und ökonomische Fragen, die die Lebens- und Arbeitssituation der Einwohner und Einwohnerinnen von Hamburg betreffen, dass die Gewerkschaften den Prozess unbedingt - gefragt oder ungefragt - begleiten sollten.
Zu den Fakten:
Im Februar2015 will der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) eine repräsentative Befragung in Hamburg darüber durchführen, in welchem Maße die Bevölkerung der Stadt eine mögliche Bewerbung Hamburgs um Olympische Sommerspiele unterstützt. Das Ergebnis soll eine Grundlage für die Entscheidung des DOSB am 21. März 2015 darüber sein, welche Stadt (Berlin oder Hamburg) nach dem Willen des DOSB als deutsche Bewerberstadt benennen will. Sollte sich der DOSB für Hamburg entscheide, soll im Herbst (vorauss. im September 2015) eine noch nicht näher definierte Volksbefragung in Hamburg über die endgültige Bewerbung durchgeführt werden.
Eckpunkte:
Im Folgenden werden als Fragen an den Senat formulierte Eckpunkte benannt, deren Beantwortung wesentlich für eine Entscheidung der Hamburger Einzelgewerkschaften und des DGB über eine Zustimmung oder Ablehnung einer Hamburger Olympiabewerbung sein soll.
- Bislang sind Wirtschafts- und Handelskammer im Verbund mit dem organisierten Sport und dem Hamburger Abendblatt als wesentliche und lautstarke Protagonisten einer Hamburger Olympiabewerbung hervorgetreten. Als konkrete Chancen einer Bewerbung werden dabei i. W. neben einer Steigerung des Bekanntheitsgrades der Stadt, Verbesserungen der Infrastruktur und ein Schub für die Hamburger Wirtschaft und den Hamburger Leistungssport genannt.
Hat der Senat eine eigene Chancen- /Risiken-Abwägung für die Stadt vorgenommen? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, warum ist diese nicht öffentlich gemacht worden? Welche Risiken sieht der Senat in einer Bewerbung/ Realisierung Olympischer Sommerspiele in der Stadt? Welche konkreten positiven Folgen sieht der Senat für den Breiten- und den Schulsport entsprechend der Olympischen Charta (insb. den nicht in Vereinen organsierten)?
- Das IOC hat auf öffentlichen Druck Ende 2014 eine Reformagenda beschlossen, die einige Kritikpunkte am bisherigen Bewerbungsverfahren und der Vergabe von Olympischen Spielen aufnehmen. Der Beschluss des IOC ist sehr allgemein gehalten und beinhaltet mehr Versprechungen denn konkrete Maßnahmen. Ist der Senat bereit, konkrete Eckpunkte für ein Vertragswerk zu formulieren, ohne deren Erfüllung durch das IOC es keine Olympischen Spiele in Hamburg geben wird (z.B. keine Steuerfreistellungen für das IOC und Partner; Einhaltung konkret formulierter sozialer, ökologischer, ethischer und demokratischer Standards; Transparenz)? Ist der Senat bereit, die Regel 33 der Olympischen Charta in der aktuellen Fassung unverändert zu akzeptieren? Wenn nein, wo sieht er Handlungsbedarf?
- Der DOSB hat in den vergangenen Monaten die potenziellen Bewerberstädte mit seiner Politik ständig vor vollendete Tatsachen gestellt (Termine, Kriterien und Verfahren über die Entscheidung, welche Stadt sich bewerben soll). Der DOSB hat sich dabei eine Rolle angemaßt, die ihm nicht einmal laut Charta des IOC zusteht. Wie will der Senat sicher stellen, dass zukünftig - wie in der Olympischen Charta vorgesehen - das Primat über die die Stadt betreffenden Entscheidung beim Senat unter transparenter Einbeziehung der Bewohnerinnen und Bewohner und der Partner aus dem Sport liegt?
- Die bisherigen Planungen des Senats basieren im Wesentlichen auf Arbeiten von Experten aus Sport und Wirtschaft. Diese gesellschaftlichen Kräfte haben auch am deutlichsten ihr Interesse an einer Hamburger Bewerbung formuliert und in den entsprechenden Medien propagiert. Die Gewerkschaften sind bislang nicht in diesen Prozess eingebunden worden. Welche Gründe gibt es dafür und welche Schritte unternimmt der Senat zukünftig, eine einseitig den wirtschaftlichen und sportlichen Interessen der Stadt verpflichteten Bewerbung zu vermeiden und auch die Arbeitnehmer einzubinden und ihre Interessen zu berücksichtigen?
- Der DOSB will im Februar 2015 mittels einer Volksbefragung den Grad der Zustimmung in der Bevölkerung zu einer Bewerbung messen. Welchen Einfluss hat der Senat auf eine konkrete, transparente und eindeutige Fragestellung? Ist der Senat bereit, bei der geplanten Volksbefragung im September d.J. die Wählerinnen und Wähler parallel mit konkreten und transparenten Informationen über die nach gegenwärtigen Planungen entstehenden Kosten, sowie Chancen und Risiken einer solchen Bewerbung zu versorgen (z.B. Kosten u.a. der Flächenbereitstellung für den als sicher geltenden Fall, dass eine Bewerbung frühestens für die Jahre 2028 oder 2032 realistisch ist)? Ist der Senat bereit, eine völlige Transparenz realistischer eigener Kostenplanungen sowohl für die Bewerbungs- als auch insb. für die Realisierungskosten herzustellen? Wird der Senat in der geplanten Volksbefragung eine Obergrenze für die Kosten von Olympischen Sommerspielen in Hamburg benennen und diese gegenüber dem IOC als Sollbruchstelle einer Bewerbung vertreten?
- Wie will der Senat sicherstellen, dass in allen Phasen der Bewerbung, der Installierung der erforderlichen Infrastruktur und Durchführung der Spiele die Arbeits- und Sozialstandards der Gewerkschaften und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eingehalten werden? Welche konkreten Maßnahmen plant der Senat, um eine mit einer Bewerbung und ggf. Realisierung der Spiele einhergehenden absehbaren erhebliche Steigerung von Immobilien- und Mietpreisen und eine damit verbundene nachhaltige Milieuveränderung städtischer Quartiere zu verhindern?
- Das Senatskonzept für die Bewerbung sieht die Nutzung sämtlicher bestehenden Bezirks-Sporthallen als Trainingsstätten für die Zeit der Spiele vor. Welche Ausweichmöglichkeiten über den vorauss. Zeitraum von mindestens 3 Monaten (Herrichtung, Nutzung und Wiederherstellung) sieht der Senat für den Schul- und Breitensport in diesem Zeitraum vor?
- Die jüngsten Enthüllungen über das international verflochtene Doping-Netzwerk gerade in Hinblick auf die letzten Olympischen Spiele in Sotchi zeigen, dass sowohl das IOC als auch die nationalen und internationalen Spitzenverbände nicht in der Lage sind, das Dopingproblem wirksam und nachhaltig zu bekämpfen. Welche Rolle und Aufgaben misst der Senat vor diesem Hintergrund staatlichen Stellen bei der Dopingbekämpfung bei? Durch welche Maßnahmen will der Senat erreichen, dass dieses Problem in Hinsicht auf mögliche Olympische Spiele in Hamburg umfassend und rechtlich notfalls auch gegenüber Sportorganisationen tatsächlich einer Lösung zugeführt wird? Wird er auch darauf hinwirken, dass die sog. Deutsche Olympische Akademie des DOSB nicht mehr seine völlig kritiklosen und rein affirmativen Unterrichtsmaterialien zu Olympischen Spielen an Schulen verteilen kann und sich für die Erstellung neutraler, möglichst - auch kritische- Positionen integrierende Materialien einsetzen, die u.a. das Thema Doping umfassend behandeln?
Diese Punkte bilden keine abschließende Liste, sie können z.B. um dem Umgang mit dem Problem der öffentlichen Sicherheit und weiteren ergänzt werden. Das vorliegende Konzept hat sich bemüht, den Anforderungen des IOC und des deutschen organisierten Sport zu genügen. Der Blick der Hamburger Bevölkerung darauf fehlt und muss dringend geschärft und formuliert werden.
IOC-Präsident Thomas Bach wird mit den Worten zitiert, Deutschland brauche Olympische Spiele. Dies ist eine Verkehrung der Verhältnisse. Die Olympische Bewegung braucht demokratische Länder wie Deutschland als Ausrichter. Deutschland braucht zwar keine Olympischen Spiele, könnte mit einer Bewerberstadt Hamburg ein sehr guter Ausrichter für Spiele im eigentlichen Sinne der Olympischen Idee sein. Dafür müssen allerdings bestimmte, z.B. hier formulierte Kriterien, Werte und Grundsätze erfüllt werden. In einem Bewerbungsprozess müssen die eigenen Interessen selbstbewusst eingebracht und realisiert werden. Ein solches transparent zu gestaltende Verfahren wird die Reformbereitschaft des IOC auf eine Probe stellen. Der Senat muss der Bevölkerung der Stadt klar die Kriterien und Bedingungen benennen, zu denen eine Bewerbung abgegeben werden soll und welche Grenzüberschreitungen das Scheitern zur Folge haben müssen.
Norbert Baumann unter Mitarbeit von A. Stolze und mit Anmerkungen von P. Stielert
Foto: Olympia Fairändern