(Achtung: In der gedruckten Fassung der hlz ist ein falsches Datum angegeben.)
SCHULDENBREMSE – Kein Enkeltrick – Wie es möglich ist, wirtschaftliche Prozesse auch ohne Geld in Gang zu setzten
Man kann wohl von einstürzenden Brandmauern sprechen, wenn man auf die finanzpolitischen Entscheidungen der gewählten, aber noch nicht im Amt befindlichen Bundesregierung blickt. Was vor Tagen vor der Wahl noch von jenen, die nun in erster Linie die Regierungsverantwortung übernehmen werden, als „Todsünde“ geschmäht wurde, nämlich die Lockerung der Schuldenbremse, ist nicht nur Makulatur, sondern Programm.
Nun gilt es wahrlich nicht die Finanzierung zur Kriegstüchtigkeit zu bejubeln, aber man staunt, dass alle Bedenken, die gerade von konservativer Seite gebetsmühlenartig gegen das Aufweichen der Schuldenbremse in der Vergangenheit immer wieder ins Feld geführt wurden, wie weggewischt erscheinen. Das geflügelte Wort dieser Tage: „What ever it takes“, was für eine unbegrenzte Ausweitung der Rüstungsausgaben stehen soll, ist ein Dammbruch in Sachen finanzpolitischer Entscheidungen. Jene Auguren, die noch vor der Wahl von Abgründen in Hinblick auf die Folgen sprachen, wandeln sich in wenigen Tagen zu Befürworter:innen der Aufgabe der Schuldenbremse, weil sie u.a. darin eine große Chance sehen, verloren gegangene Industriearbeitsplätze (wo wohl?) zurückzugewinnen.
So prekär diese Aufrüstung in Hinblick auf geopolitische Auswirkungen auch sein mag, immanent betrachtet, bestätigen sie damit das, was die Vertreter:innen der Modern Monetary Theory (MMT) seit Jahren predigen: Man kann staatlicherseits einen wirtschaftlichen Vorgang in Gang setzen, indem man Geld aus dem Nichts schöpft. Damit bestätigt sich der im vorzustellenden Buch entwickelte Denkansatz als richtungsweisend.
Das, was noch vor der Wahl von allen marktradikalen Politiker:innen gebetsmühlenartig vorgetragen wurde, dass man nicht mehr ausgeben könne als man eingenommen habe, scheint wie weggeblasen. Nun greift scheinbar doch die Einsicht Raum, dass es zwischen dem Staat und dem Schwäbischen Hausmann einen fundamentalen Unterschied gibt. Was für Letzteren ja tatsächlich gilt, wenn er nicht zwischenzeitlich im Lotto gewonnen hat, gilt für die Regierung nicht: Jede Ausgabe, die die Regierung tätigt, setzt einen wirtschaftlichen Vorgang in Gang, der Einkommen schafft, über das dann auch Steuern generiert werden. Und das gilt unabhängig davon, ob das Geld für die Ausgaben aus Steuern stammte oder über Schulden finanziert wurde.
Schulden, die der Finanzminister machen kann, indem er Schuldverschreibungen (Schatzbriefe) ausstellt, die jede Frau oder jeder Mann (aber auch institutionelle Anleger wie Renten- und Lebensversicherer) kaufen können. Wenn aber die Nachfrage nach diesen nicht ausreicht, so kauft sie die Zentralbank. Und die schöpft das Geld, ja, woher eigentlich? Die Antwort lautet: Aus dem Nichts!
Diese Magical-Mystery-Tour irritiert. Es taucht sofort die Frage auf, was denn passiert, wenn die Steuern, die durch die wirtschaftliche Tätigkeit zustande gekommen sind, nicht ausreichen, um die Schulden zu begleichen, die einst der Staat für die Investition dank der Überlegungen der Vertreter:innen der Modern Monetary Theory (MMT) gemacht hatte. Logisch, dass dann zunächst gesagt wird, dass in einer solchen Situation die finanziellen Lasten auf die Enkelgeneration übertragen werden.
Einmal Luftholen genügt allerdings, um sich daran zu erinnern, welche Antwort die Vertreter:innen der MMT bereithalten: So, wie das Geld per Mausklick in die Welt kam, indem die Zentralbank der Regierung den gewünschten Betrag aufs Konto des Finanzministeriums buchte, so könnte sie nun mit einem Klick die Schulden löschen, weil Regierung und Zentralbank – institutionelle Hindernisse einmal außen vor gelassen – letzten Endes eins sind, weil sie von denselben demokratisch legitimierten Entscheidungsträgern abhängen. Das Ganze ist somit also kein Enkeltrick, sondern entspricht eher einer Sendung mit der Maus.
Was wäre, wenn die direkt erfolgten ‚Wertpapier-Ankaufprogramme‘ mit einem Mausklick gelöscht würden?
Aber ist das nicht das Einfallstor für Inflation, ist die naheliegende Frage. Denn richtig ist auch, dass es zu einer solchen kommen müsste, wenn die Geldmenge schneller wächst als die produzierten Güter und in Anspruch genommenen Dienstleistungen. Bäume wachsen auch nach Vorstellungen der Vertreter:innen der MMT nicht in den Himmel. D.h. eine Geldmengenausweitung ist nur ratsam bis Vollbeschäftigung erreicht ist und die Kapazitäten optimal ausgelastet sind. Davon sind wir in Deutschland zurzeit aber weit entfernt. D.h. die Investitionsschwäche hierzulande muss überwunden werden, in dem der Staat Investitionen fördert. Damit erhöht sich dann eben genau die angesprochene Gütermenge.
Wenn dies noch unstrittig sein mag, so gibt es regelmäßig einen Aufschrei, wenn von höheren Sozialausgaben und /oder höheren Löhnen die Rede ist. Bloß verkennen die Kritiker:innen, dass gerade durch allein die hierdurch geschaffene private Nachfrage die Gewinnerwartungen der Unternehmen steigen. Und allein darauf kommt es an! Ohne Aussicht auf Gewinn investiert kein Unternehmen. Will man also die zurzeit eklatante Investitionsschwäche überwinden, muss der Staat seiner Rolle als „ideeller Gesamtkapitalist“ (Friedrich Engels) wahrnehmen, indem er sowohl Investitionen – u.a. in Bildung (!), nicht umsonst Humankapital genannt – fördert als auch dafür sorgt, dass der Konsum nicht wegbricht. Wenn es ihm dann noch gelingt, über diesen Weg sowohl ressourcenschonende und energiesparende Produktionsverfahren auf den Weg zu bringen als auch die Konsumenten davon zu überzeugen, nachhaltige Produkte zu kaufen, wären die Weichen für einen gelingenden ‚Green Deal‘ richtig gestellt.
Dass dies der wohl einzige Weg aus der Krise ist, belegt – wie eingangs erwähnt – die im November letzten Jahres im Auftrag der EU veröffentlichte Expertise des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi. Jener Draghi, der schon einmal, als die EU auseinanderzubrechen drohte, mit dem Ankauf von insbesondere griechischen Staatsanleihen als Erster, also weit vor „unserem“ designierten Kanzler, die Parole ausgab: „What ever ist takes“. Angesichts der EU-weiten Investitionsschwäche fordert er nun ein jährliches Investitionsvolumen von 800 Milliarden! Woher soll das Geld kommen? Das ist nur wie oben beschrieben per Mausklick möglich!
Wie aber kann das sein, dass die herrschende Lehre in den Wirtschaftswissenschaften diese Gedanken nicht zulassen will. Das Credo in den Haushaltsdebatten der Parlamente heißt, s.o.: Man kann nicht mehr ausgeben als man hat. Und wenn man Schulden aufnimmt, wird einem zu einem späteren Zeitpunkt die Rechnung präsentiert. Wenn das die Schulden Machenden nicht mehr selbst erreicht, trifft es die Enkel. Dieses scheinbar eherne Gesetz wird plötzlich infrage gestellt?
Carl Barks, der Schöpfer von Daniel Düsentrieb, legte diesem einst in den Mund: „Zwischen Wahnsinn und Verstand ist nur eine dünne Wand“. Die Kritiker:innen der MMT sollten sich ihrer Sache also nicht so sicher sein: ‚Geld aus dem Nichts‘ zu schaffen ist weder ein Enkeltrick noch lässt sich dies mit dem Vorwurf der Scharlatanerie desavouieren.
Stattdessen steht die Frage im Raum: Wer ist hier verrückt? Wir haben das Wissen und wir haben alle übrigen Ressourcen, um den Klimawandel aufzuhalten. Und wir haben die Menschen, die das bewerkstelligen könnten. Zum Wissen gehört dann eben auch: Dass man das notwendige Geld hierzu zur Verfügung stellt, wenn man insgesamt darauf vertraut, dass vernunftbegabte Wesen in der Lage sind, sich ihre Welt als eine lebenswerte zu erhalten.
Erhalten ist wohl das Gegenteil von zerstören. Hoffen wir mal, dass sich nicht Letzteres gegenüber der Wahrung und dem Erhalt der Natur – uns selbst immer mit einbezogen – durchsetzt. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Joachim Geffers
Diskussion mit dem Autor am Mittwoch, 26. März um 19 Uhr im Curiohaus, Hamburg
(Achtung: In der gedruckten Fassung der hlz ist ein falsches Datum angegeben.)
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Wer ist hier verrückt? Gibt es das – Geld aus dem Nichts, mit dem ein wirtschaftlicher Vorgang in Gang gesetzt werden kann?
ISBN 978 3 769 31317 8
215 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
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