40 Jahre Berufsverbote - Der Schoß ist fruchtbar noch

13. Februar 2012Von: Hartmut RingThema: GEW
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"Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch." Dieses Brecht-Zitat aus "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" von 1941 ist fast schon ein Leitmotto der Bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Immer wieder bedienen sich die sozial oder politisch sich bedrängt fühlenden Politikeliten bis hinein in die kleinste Amststube des Instrumentes der Ausgrenzung, der 'Extremisten'-Hatz und der Keule des Antikommunismus, der "Grundtorheit unserer Epoche" *) 

"Vor 40 Jahren, am 28. Januar 1972, beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt den sogenannten „Radikalenerlass". Zur Abwehr angeblicher Verfassungsfeinde sollten „ Personen, die nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“, aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten bzw. entlassen werden. Mithilfe der „Regelanfrage“ wurden etwa 3,5 Millionen Bewerberinnen und Bewerber vom „Verfassungsschutz“ auf ihre politische „Zuverlässigkeit“ durchleuchtet. In er Folge kam es zu 11 000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2 200 Disziplinarverfahren, 1250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen. Formell richtete sich der Erlass gegen „Links- und Rechtsextremisten“, in der Praxis traf er vor allem Linke: Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und anderer sozialistischer und linker Gruppierungen, von Friedensinitiativen bis hin zu SPD-nahen Studierendenorganisationen. Mit dem Kampfbegriff der „Verfassungsfeindlichkeit“ wurden missliebige und systemkritische Organisationen und Personen an den Rand der Legalität gerückt, wurde die Ausübung von
Grundrechten wie der Meinungs- und Organisationsfreiheit bedroht und bestraft. Der „Radikalenerlass“ führte zum faktischen Berufsverbot für Tausende von Menschen, die als Lehrerinnen und Lehrer, in der Sozialarbeit, in der Briefzustellung, als Lokführer oder in der Rechtspflege tätig waren oder sich auf solche Berufe vorbereiteten und bewarben. Bis weit in die 80er Jahre vergiftete die staatlich betriebene Jagd auf vermeintliche „Radikale“ das politische Klima. Der „Radikalenerlass“ diente der Einschüchterung, nicht nur der aktiven
Linken. Die existentielle Bedrohung durch die Verweigerung des erlernten oder bereits ausgeübten Berufes war eine Maßnahme der Unterdrückung außerparlamentarischer Bewegungen insgesamt. Statt Zivilcourage wurde Duckmäusertum gefördert.

Heute gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das eine Diskriminierung wegen politischer Überzeugungen verbietet. Damit wurde eine entsprechende EU-Richtlinie umgesetzt. Doch ein öffentliches Eingeständnis, dass der „Radikalenerlass“ Unrecht war,
unterblieb. Er hat Tausenden von Menschen die berufliche Perspektive genommen und sie in schwerwiegende Existenzprobleme gestürzt. Eine materielle, moralische und politische Rehabilitierung der Betroffenen fand nicht statt."
**)

Auch heute - nach 40 Jahren "Radikalenerlass" gib es Grund zur Sorge. Wieder werden Menschen bespitzelt, die sich Nazis in den Weg stellen und ein Sarrazin darf seine sozialdarwinistischen und offen rassistischen Gedanken in Millionenauflage verbreiten und dabei Mitglied der SPD bleiben. Wieder wird das Verfassungsprinzip, dass die Legislative die Exekutive kontrolliert, ad absurdum geführt, wenn gewählte Landtags- und Bundestagsabgeordnete der LINKEn vom sog. Verfassungsschutz bespitzelt werden.  In Bayern wird von BewerberInnen für den Öffentlichen Dienst weiterhin die Distanzierung von Organisationen verlangt, die vom 'Verfassungsschutz' als "lnksextermistisch" diffamiert werden. Und: eine sog. "Extremismus-Klausel" bedroht die wichtige Arbeit antifaschistischer, antirassistischer und anderer demokratischer Projekte.

In der oben zitierten Erklärung ehemaliger Betroffener heißt es weiter:

"Unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus werden wesentliche demokratische Rechte eingeschränkt. Die in den letzten Monaten des Jahres 2011 zu Tage getretenen „Verfassungsschutz“-Skandale haben gezeigt, wie tief der Inlandsgeheimdienst ideologisch und personell in die neonazistische Szene verstrickt ist. Seit seiner Gründung im Jahr 1950 - unter Beteiligung von NS-Verbrechern - hat der „Verfassungsschutz“ an der
Ausgrenzung, Einschüchterung und letztendlichen Kriminalisierung antifaschistischer Politik und linker Opposition gearbeitet. Dieser antidemokratische Geheimdienst ist nicht reformierbar, er muss abgeschafft werden.
Der „Radikalenerlass“ und die ihn stützende Rechtssprechung bleiben ein juristisches, politisches und menschliches Unrecht. Wir als damalige Betroffene des „Radikalenerlasses“ fordern von den Verantwortlichen in Verwaltung und Justiz, in Bund und Ländern unsere vollständige Rehabilitierung. Die Bespitzelung kritischer politischer Opposition muss ein Ende haben. Wir fordern die Herausgabe und Vernichtung der „Verfassungsschutz“-Akten, wir verlangen die Aufhebung der diskriminierenden Urteile und eine materielle Entschädigung der Betroffenen
." **)

Die GEW Bund führt am Samstag, 17. März vormittags(!) eine Veranstaltung zum Thema „Berufsverbote“ durch. Interessierte Betroffene wenden sich am Besten an ihren Landesverband.

 

Hartmut Ring (Ausschuss für Friedenserziehung)