Die Hochschulen befinden sich seit der Jahrhundertwende im Wandel. Reformprojekte, die die Kommerzialisierung von Bildung, die Privatisierung der Hochschul- und Studienfinanzierung (Verbot eines bundesweit einheitlichen Studiengebühren-Verbots 2005) oder die Umstellung auf eine gestufte Studienstruktur (Bologna-Prozess seit 1999) zum Ziel haben, waren vor fünfzehn Jahren noch in Planung, heute sind sie in großem Umfang umgesetzt. Gleiches gilt für Projekte der Entstaatlichung und Deregulierung (Föderalismusreform 2006, Abschaffung des Hochschulrahmengesetzes). Im Kontext der Novellierung der Landeshochschulgesetze etablieren sich neue formelle und informelle Steuerungsinstrumente, von Zielvereinbarungen über Globalhaushalte, Evaluationen, Akkreditierungen und Rankings bis hin zur Einführung neuer Verwaltungsstrukturen, ‚unternehmerischer’ Hochschulleitungen und von Hochschulräten. Die rasanten Umstrukturierungen der letzten Jahre sind zwar noch nicht abgeschlossen, doch hat sich die Hochschule als eines der gesellschaftlichen Felder, in denen (bildungs)politische Auseinandersetzungen ablaufen, bereits stark verändert. Doch läuft der aktuelle „bildungspolitische Paradigmenwechsel“[1] so widerspruchsfrei und reibungslos ab, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat? Kritik ist angebracht, denn auch „wenn die Masterpläne der Bildungsreform sich den Anschein ausgereifter Konsistenz geben möchten: Sie müssen als Reaktionen auf und Produktion von gesellschaftlichen Widerspruchslagen gelesen werden“.[2]
Hochschulreform: Von der Gruppenhochschule zum Unternehmen Hochschule
Eingeleitet wurde die Hochschulstrukturreform in Hamburg unter einer seit 2001 regierenden Koalition von CDU, FDP und Schill-Partei durch die Empfehlungen der vom Senator für Wissenschaft und Gesundheit, Jörg Dräger, eingesetzten sogenannten Dohnanyi-Kommission im Jahr 2003. Diese stellte fest, dass die Zukunft der Stadt Hamburg entscheidend davon abhängen werde, ob sie in Bezug auf Wissenschaft und Forschung eine international wettbewerbsfähige Stellung einnehmen könne. Ziel einer Reform müsse es daher sein, dass die Hochschulen „innerhalb eines wettbewerblichen und sich weitgehend selbst steuernden Systems ein Höchstmaß an Autonomie und Profilierungsspielraum“ erhielten, wofür der Abbau der als ineffizient beschriebenen Gremienarbeit als notwendig empfohlen wurde.[3] Den Empfehlungen der Kommission folgte der Gesetzesentwurf der Behörde weitgehend. Im Wissenschaftsförderungsgesetz, das 2003, nur wenige Monate nach Bekanntwerden der Kommissionsempfehlungen, von der Hamburger Bürgerschaft verabschiedet wurde, wurden die Gremien- und Leitungsstrukturen im Sinne des CHE[4] und des Stifterverbandes[5] reorganisiert.[6]
In Bezug auf die Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Hochschulen sah das Gesetz Hochschulräte als neue Organe vor, die Entscheidungs- und Beratungskompetenzen bei Themen und Gegenständen bekamen, die bisher bei der Hochschule (z.B. Wahl der Präsidentin bzw. des Präsidenten) und bei der Behörde (z.B. Genehmigung der Grundordnung) angesiedelt waren. Die Mitglieder des Hochschulrats werden seitdem zu gleichen Teilen von der Hochschule und von der Behörde bestimmt und wählen als weiteres Mitglied eine Vorsitzende bzw. einen Vorsitzenden. Während alle Organe der akademischen Selbstverwaltung öffentlich tagen, tagt der Hochschulrat nicht öffentlich. Abgeschafft wurde infolgedessen der Große Senat; dem Akademischen Senat als neuem höchsten Gremium der akademischen Selbstverwaltung wurden fast alle beschlussfassenden Kompetenzen entzogen und seine Funktion wurde auf das Recht zur Stellungnahme oder Bestätigung reduziert (z.B. bei der Wahl der Präsidentin bzw. des Präsidenten). Die Reform der internen Leitungs- und Steuerungsstrukturen sah eine Stärkung des Präsidiums vor. Dieses schließt seitdem die neu eingeführten Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit der Behörde ab und bekam von der Behörde die Kompetenz übertragen, über Wirtschaftspläne und Gebührensatzungen sowie über Berufungen zu entscheiden. Auch das Wahlverfahren änderte sich: Die Präsidentinnen und Präsidenten der Hamburger Hochschulen werden seitdem vom Hochschulrat gewählt und vom Akademischen Senat bestätigt. Eine klassische Kompetenz der akademischen Selbstverwaltung ist somit seitdem ausgelagert in ein externes Gremium, das der demokratischen Mitbestimmung von Hochschulangehörigen gänzlich entzogen ist. Der Hochschulsenat hat lediglich die Kompetenz, die gewählte Person zu bestätigen. Die unteren Selbstverwaltungseinheiten werden von Dekanen geleitet, bei denen statt der Wahl durch das zuständige Selbstverwaltungsgremium ähnliche Findungsverfahren vorgesehen sind wie bei den Präsidenten (Wahl durch das Präsidium, Bestätigung durch das Selbstverwaltungsgremium der Fakultät). Mit der Hochschulreform von 2003 wurde in § 92 des HmbHG darüber hinaus eine Art Selbstverwaltungsverbot unterhalb der Fakultätsebene implementiert.[7] Dies führte dazu, dass alle bestehenden Gremien unterhalb der neu eingerichteten Fakultätsebene – wie die Fachbereichs- bzw. Institutsräte mit eigenen Rechten und Kompetenzen – abgeschafft wurden. Vor allem aufgrund der Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Statusgruppen zur Aufrechterhaltung des Lehrbetriebs tagen diese Gremien allerdings seither inoffiziell weiter. Das Selbstverwaltungsverbot unterhalb der Fakultätsebene führte dessen ungeachtet für das wissenschaftliche Personal einschließlich der Professoren zu einem erheblichen Verlust an Möglichkeiten der Einwirkung und Gestaltung der unmittelbaren Arbeitsumgebung.
Insgesamt hat sich somit die Kompetenzverteilung von den Gremien der akademischen Selbstverwaltung auf die Leitungspersonen in Dekanat und Präsidium sowie von der Hochschule auf den außerhalb der akademischen Selbstverwaltung stehenden Hochschulrat verschoben, was bei dem neuen Legitimations- und Wahlverfahren der Präsidentin bzw. des Präsidenten besonders deutlich wird. „Die wichtigste Veränderung an allen Hamburger Hochschulen ist die Entdemokratisierung“, kritisierte die GEW Hamburg.[8] Statt die Arbeitsfähigkeit und Transparenz der Selbstverwaltung zu stärken, werden in der „unternehmerischen Hochschule“ die Selbstverwaltungsrechte der gewählten Kollegialorgane abgebaut und auf bloße Beratungsfunktionen reduziert. Die wenigen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Beschäftigten und Studierenden werden abgebaut. Resultat ist mitnichten die Stärkung der Autonomie der Hochschule als Ganzes, sondern die Stärkung der Autonomie der jeweiligen Hochschulleitung gegenüber ihrer Einrichtung. Über Hochschulräte nehmen demokratisch nicht legitimierte Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmerinteressen übermäßig starken Einfluss auf die Hochschulentwicklung. Am Ende dieses Prozesses könnte die Privatisierung von Hochschulen oder Hochschuleinrichtungen stehen, der durch eine Änderung der Rechtsform der Hochschulen (Stiftungshochschulen) und Public-Private-Partnerships der Weg gebahnt wird.
Ein besonders krasses Beispiel dafür, wie wenig die Hochschulautonomie von der Politik geachtet wird, war die Abschaffung der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) gegen ihren Willen und deren Integration in die Wirtschaftswissenschaften gegen deren Willen. Es handelte sich um den politischen Feldzug gegen eine Institution, die in der Öffentlichkeit als „links“ galt und deshalb verschwinden sollte. Die Behauptung, es gehe um die Nutzung von Synergie-Effekten ist abwegig; denn die HWP war eine Einrichtung des zweiten Bildungswegs und verfügte über ganz eigene Studienstrukturen. Im Fall der Hafen-City-Hochschule verfährt der Senat umgekehrt; dort wird geltend gemacht, hier werde ein spezialisierter Bereich verselbstständigt. Die wirklichen Gründe sind in beiden Fällen politischer Art.[9]
Die GEW fordert demgegenüber eine Reform und Demokratisierung der Hochschulselbstverwaltung, an der alle am Wissenschaftsprozess beteiligten Gruppen gleichberechtigt zu beteiligen sind. Es sind, u. a. gesetzlich, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass diese Teilhabe auch realisiert werden kann. Dabei orientiert sich die GEW an dem Grundsatz, dass die Mitgliedergruppen der Hochschule gleiche Vertretungsrechte in den Gremien erhalten. Keine Gruppe darf alle anderen überstimmen können.[10]
Die Umsetzung der neuen Leitungs- und Entscheidungsstrukturen verlief jedoch an der Universität Hamburg nicht so reibungslos, wie von den herrschenden Akteuren erhofft, sondern führten in der Praxis zu einer Krise, die in eine erneute Hochschulreform mündete.
Krise und Reform der Reform
Ende 2006 wurde in Nachfolge des langjährigen Präsidenten Dr. Jürgen Lütje Prof. Dr. Monika Auweter-Kurtz durch den Hochschulrat zur neuen Präsidentin der Universität Hamburg gewählt. Trotz der institutionell enormen Machtfülle gelang es ihr jedoch nicht, innerhalb der neuen Steuerungsstrukturen so zu agieren, dass ihre Entscheidungen von den Hochschulangehörigen akzeptiert und umgesetzt wurden. Stattdessen schaffte sie es in kürzester Zeit, alle Statusgruppen der Universität dermaßen gegen sich aufzubringen, dass sie nicht im Amt zu halten war. Grund für ihre Demission war dabei ihre Weigerung, die in den Gremien artikulierten Ansprüche und Interessen angemessen zu würdigen und in ihre Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Was war passiert?
Am 6. Mai 2009 verweigert Auweter-Kurtz ohne Angabe von Gründen ihre erforderliche Zustimmung zur Ernennung eines neuen Dekans, der einstimmig vom zuständigen Fakultätsrat vorgeschlagen worden war. Am 27. Mai wurde im Akademischen Senat massive Kritik an der Präsidentin wegen ihrer Ablehnung des von der Fakultät vorgeschlagenen Dekans geäußert. Am 9. Juni kritisieren fünf der sechs Dekaninnen und Dekane der Fakultäten der Universität Hamburg den Führungsstil der Präsidentin und forderten sie zum Rücktritt auf, am 10. Juni stellten sich 120 Professoren und 200 wissenschaftliche Mitarbeiter hinter diese Forderung. Als sich Auweter-Kurtz weiterhin weigerte, den von der Fakultät vorgeschlagenen Dekan ins Amt zu setzen, distanzierten sich in einer „Aktuellen Stunde“ der Hamburger Bürgerschaft am 24. Juni sowohl die Oppositions- als auch die Regierungsparteien, kurz darauf auch die Senatorin für Wissenschaft und Forschung, Herlind Gundelach, vom Führungsstil der Präsidentin. Allein der Hochschulrat stellte sich in einer Stellungnahme noch hinter sie. Am 25. Juni unterbreitete die Senatorin der Präsidentin ein Angebot, ihren Vertrag in wechselseitigem Einvernehmen aufzulösen. Zwar war dies eine Kompetenzüberschreitung, da das Recht der Abwahl laut Gesetz beim Hochschulrat liegt, dennoch schied die Präsidentin der Universität Hamburg mit Ablauf des 8. Juli 2009 aus ihrem Amt aus.
Nach Absicht der Hamburgischen Wissenschaftsbehörde und des dortigen Hochschulrates sollte die neu gewählte Präsidentin Frau Auweter-Kurz die Strukturreform konsequent umsetzen. Der von ihr betriebene stark autoritär geprägte Top-down-Führungsstil und ihre die Mitbestimmungskultur an der Universität von Beginn an missachtende Haltung lösten jedoch so massive Empörung unter den Mitgliedern der Hochschule aus, dass sie nach nur drei Jahren im Amt zurücktreten musste bzw. abberufen wurde, weil sie politisch nicht mehr haltbar war.[11]
Im Dezember 2009, sechs Monate nach Abberufung der Präsidentin Auweter-Kurz, setzte Wissenschaftssenatorin Gundelach eine Kommission zur Evaluierung des Hamburger Hochschulgesetzes (HmbHG) ein, welche im Juli 2010 ihre Empfehlungen vorlegte. Das Gesetz sollte – so der Plan der Behörde vor dem Urteil – Anfang 2011 von der Bürgerschaft beschlossen werden. Doch eine weitere Krise bereiteten dem Gesetzesentwurf ein frühes Ende: Ende 2010 zerbrach die schwarz-grüne Koalition und wurde bei der Neuwahl im Februar 2011 durch eine SPD-Regierung ersetzt. Im Juni 2013 hat die Behörde für Wissenschaft und Forschung (BWF) den lange erwarteten Referentenentwurf zum Hamburger Hochschulgesetz (HmbHG) vorgelegt. Dieser fiel weit hinter die Erwartungen zurück, die von der SPD seit Regierungsantritt insbesondere in Bezug auf eine Demokratisierung der Entscheidungsstrukturen geweckt wurden.
Das novellierte Gesetz sieht entgegen dem SPD-Regierungsprogramm vor, die Machtfülle der Präsidentin oder des Präsidenten weiter auszubauen, ihre oder seine Wahl wird weiterhin nicht allein von der Hochschule vorgenommen, der Hochschulrat wird nicht von Entscheidungskompetenzen entbunden, eine ‚dritte Ebene‘ demokratischer Selbstverwaltungsstrukturen wird nicht festgelegt, sondern als ‚Kann- Bestimmung‘ verankert. Die GEW kritisierte, dass zwar der Anspruch formuliert wird, demokratische Strukturen zu stärken, die konkreten Änderungen dies jedoch nicht einlösen.[12] Die Vorsitzende des DGB Hamburg, Katja Karger sieht den Entwurf als „halbherziges Zwischenergebnis“.[13] Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf wird stattdessen ein weiterer Schritt hin zu einer unternehmerischen Hochschule unternommen und die Politik vergangener Senate und Mehrheiten konsequent fortgeführt. Die notwendige umfassende Reform des Hamburgischen Hochschulrechtes bleibt jedoch aus.[14] Die GEW wird sich weiter dafür einsetzen, dass die Leitungsstellen demokratisch „von unten nach oben“ legitimiert werden, Hochschulräte und Managementstrukturen abgeschafft werden, sowie eine erweiterte gruppenparitätische Mitbestimmung auf allen Ebenen gesetzlich verankert wird.[15]
Festzuhalten ist dennoch, dass die Umsetzung des neuen Leitbildes unternehmerischer Hochschulen nicht so reibungslos erfolgt, wie von seinen Befürwortern erhofft und von seinen Gegnern befürchtet wurde. Dennoch wird sich das neue unternehmerische Hochschul- und Bildungsverständnis in dem Maße durchsetzen, in dem diesem nicht durch entschlossenes Handeln progressiver (bildungs)politischer Akteure Einhalt geboten wird.
Grenzen der Privatisierung: Studiengebühren
Zentrales Instrument zur Realisierung eines neoliberalen, unternehmerischen Verständnisses von Hochschul(aus)bildung ist die Erhebung von allgemeinen Studiengebühren. Als wettbewerbliches Instrument sollen sie die Hochschulen in Konkurrenz untereinander um die besten Studien-‚Angebote‘ treten lassen, wobei die Studierenden als Nachfragende der Beweis ex post seien, ob ein Angebot von diesen angenommen, d.h. ‚gekauft‘ werde. Als Instrument der Verhaltenssteuerung sollen Studiengebühren bewirken, dass die Studierenden die künftige Rendite ihrer Studienkosten schärfer kalkulieren. Der Erwerb eines Studientitels soll als „Investition in ihre persönliche Zukunft“[16] oder auch als ‚individuelle Investition in Bildung‘[17] wahrgenommen werden. Studiengebühren sind somit nicht nur in Bezug auf die Hochschulfinanzierung relevant. Die „Forderung nach Studiengebühren ist heute primär eine Konsequenz des neuen hochschulpolitischen Verständnisses der Hochschulen als Dienstleistungsunternehmen, die sich als Anbieterinnen der Dienstleistung Studium auf einem Wissenschaftsmarkt zu behaupten haben, auf dem eine ‚Positionierung der Studierenden als Kunden‘ vorgenommen werden soll“.[18]
Die GEW lehnt Studiengebühren ohne Wenn und Aber ab – auch in Form von nachlaufenden Studiengebühren, Langzeitstudiengebühren, Verwaltungsgebühren oder Studienkonten. Studiengebühren stehen dem Ziel einer weiteren sozialen Öffnung der Hochschulen entgegen, weil sie auf bildungsbenachteiligte Schichten abschreckend wirken. Zusätzlich verstärken sie die soziale Bildungsungleichheit im Studium, da sich die effektiven Studienkosten für Studierende aus einkommensschwächeren Herkunftsfamilien verteuern. Als Studiengebühren lehnt die GEW auch Gebühren und Kosten ab, die aufgebracht werden müssen, um zum Studium zugelassen zu werden.[19]
Nach der bundesweiten Abschaffung der Hörergeld genannten allgemeinen Studiengebühren im Jahr 1970 durch einen Beschluss der KMK wurde es mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 26. Januar 2005 in die Verantwortung der Bundesländer gestellt, allgemeine Studiengebühren einzuführen oder nicht. Sieben Bundesländer führten daraufhin Studiengebühren für alle Studierenden ein. Bemerkenswert ist, dass sich diese von Seite der dominierenden Akteure forcierte Entwicklung politisch nicht durchsetzen ließ: Bis 2013 hatten alle einführenden Länder diese wieder abgeschafft. Das ist insbesondere ein Erfolg unermüdlicher studentischer Aktivitäten.
Eigens zu dem Zweck, die Einführung von Studiengebühren zu verhindern, wurde im Jahr 1999 das von über 200 Asten und weiteren Organisationen wie der GEW und dem Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) getragene, bundesweit agierende Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) gegründet, dessen Aufgabe darin besteht, die Studierende vor Ort zu unterstützen sowie für Informationen, Expertise und Austausch zu sorgen. Unter dem Motto Wir gegen Gebühren! Demonstrieren – Klagen – Boykottieren unterstützte das ABS in der Zeit der Gebühreneinführung und -erhebung neben lokalen, landes- und bundesweiten Demonstrationen auch die verschieden Klagen gegen Studiengebühren in den Bundesländern. Die Aktivitäten zur Verteidigung der Gebührenfreiheit in den Bundesländern waren vielfältig, wie im Folgenden am Beispiel der Aktivitäten der Hamburger Studierenden dargestellt wird.
Bereits am 26. Januar 2005, dem Tag der Verkündung des BVerfG-Urteils, gab es im Anschluss an eine Live-Übertragung des Urteils im Rahmen einer studentischen Vollversammlung an der Universität Hamburg eine Demonstration mit ca. 1000 Studierenden zum Hamburger Rathaus. Das Sommersemester 2005 wurde angesichts der drohenden Studiengebühreneinführung von den Hamburger ASten zum Summer of Resistance ernannt, und vielfältige, in bundesweite Zusammenhänge eingebundene Aktivitäten wurden organisiert. Höhepunkt war eine von einem breiten Bildungsbündnis getragene Demonstration unter dem Motto Gebührenfreie Bildung für alle! am 16. Juni mit über 20.000 Teilnehmenden. Am 31. Juni 2006, dem Tag der ersten Lesung des Gesetzes in der Hamburger Bürgerschaft, wurde im Anschluss an eine Demonstration mit ca. 3.000 Studierenden der Hauptbahnhof von mehreren Hundertschaften Polizei blockiert, um eine Gleisbesetzung zu verhindern. Am Tage der entscheidenden Lesung, dem 28. Juli, fand eine Demonstration mit ca. 4.000 Menschen statt. Trotz dieser Proteste wurde das Gesetz in der Hamburger Bürgerschaft mit der absoluten Mehrheit der CDU verabschiedet.
Mit der erstmaligen Erhebung allgemeiner Studiengebühren wurden zudem an insgesamt 59 Hochschulen bundesweit Boykotte organisiert und die Studierenden aufgerufen, die Studiengebühren auf ein in der Regel vom jeweiligen AStA eingerichtetes Treuhandkonto zu überweisen.[20] An den Hamburger Hochschulen wurden die Quoren, die im Vorfeld von studentischen Vollversammlungen festgelegt wurden, um den Boykott ab Fristende der Gebührenzahlung aufrechtzuerhalten zu können, ohne eine Massenexmatrikulation befürchten zu müssen, teilweise knapp nicht erreicht: An der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) boykottierten 29 Prozent aller Studierenden, statt der vorher beschlossenen 33 Prozent; an der Universität Hamburg boykottierten 6.000 Studierende, das waren 20 Prozent aller Studierenden, statt der erforderlichen und von einer studentischen Vollversammlung bestätigten 33 Prozent. An der Hochschule für bildende Künste (HfbK) dagegen wurde das Quorum nicht nur erreicht, sondern deutlich überschritten: 82 Prozent der ca. 500 Studierenden der Hochschule boykottierten die Zahlung. Infolgedessen kam zu einem Dauer-Boykott der Studiengebühren, der bis zur Abschaffung der Gebühren zum Wintersemester 2012/13 anhielt.
Zwar wurden die Studiengebühren in mittlerweile allen Bundesländern, in denen sie erhoben wurden, zuletzt weder per Boykott noch juristisch abgeschafft, sondern durch die jeweiligen Landesparlamente, dennoch lag der durchaus erfolgreiche studentische Kampf gegen Studiengebühren auch darin begründet, dass über sowohl aktionistische als auch lobbyistische Aktivitäten der gesellschaftlichen Referenzrahmen soweit verschoben wurde, dass allgemeine Studiengebühren von den in den jeweiligen Landesparlamentswahlen an die Regierung kommenden Parteien abgeschafft wurden.[21]
[1] Keller, Andreas: Hochschulreform und Hochschulrevolte. Selbstverwaltung und Mitbestimmung in der Ordinarienuniversität, der Gruppenhochschule und der Hochschule des 21. Jahrhunderts. Marburg 2000: 327
[2] Pongratz, Ludwig A.: Bildung im Bermuda-Dreieck: Bologna – Lissabon – Berlin: Eine Kritik der Bildungsreform. Paderborn 2009: 30
[3] Dohnanyi-Kommission: Empfehlungen zur Reform der Hamburger Hochschulen. Hamburg 2003: 6
[4] Das als gemeinnützig anerkannte Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) wurde 1994 auf Initiative der Bertelsmann Stiftung und der HRK gegründet. Es versteht sich als eine Reformwerkstatt für das deutsche und europäische Hochschulwesen, betreibt gemeinsam mit Partnerinstitutionen Organisationsentwicklungsprojekte und vermittelt seine Arbeit über verschiedene Kampagnen, Expertisen und Stellungnahmen.
[5] Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (SV) wurde 1949 gegründet und ist ein Zusammenschluss von aktuell ca. 3.000 Unternehmen, Unternehmensverbänden, Stiftungen und Privatpersonen mit dem Ziel, Wissenschaft und Forschung zu fördern. Neben Stellungnahmen zu Bereichen der Hochschul- und Studienstruktur initiiert der Stifterverband eigene Förderprogramme und erstellt Analysen zum Wissenschaftsbereich.
[6] Vgl. Hauer, Dirk / Rogalla, Bela: HWP in Bewegung. Studierendenproteste gegen neoliberale Hochschulpolitik. Hamburg 2006
[7] „Die Fakultäten bestimmen die Organisationseinheiten in der Fakultät; sie können entsprechende Fakultätssatzungen erlassen. In diesen Organisationseinheiten werden keine nach Gruppen zusammengesetzten Selbstverwaltungsgremien gewählt“ (HmbHG § 92).
[8] Siehe Sechs Jahre CDU-Regierung in Hamburg: Bildung in Not, GEW Hamburg 2007
[9] Siehe Sechs Jahre CDU-Regierung in Hamburg: Bildung in Not, GEW Hamburg 2007
[10] Wissenschaftspolitisches Programm der GEW von 2009, S. 15 ff.
[11] vgl. Dehnerdt, Fredrik: Was soll ich wollen? Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Partizipation von Studierenden an deutschen Hochschulen – Analyse eines Dispositivs. Marburg 2014: 106 ff.
[12] Pressemitteilung der GEW Hamburg vom 19.6.2013
[13] Pressemitteilung des DGB Hamburg vom 19.6.2014
[14] Pressemitteilung der GEW Hamburg vom 4.9.2013
[15] Leitlinien für gute Bildungspolitik in Hamburg, GEW Hamburg 2014
[16] Stifterverband 2008: 32
[17] Dementsprechend lautet der der Name einer Expertise des CHE und des Stifterverbandes von 1999 Modelle der individuellen und institutionellen Bildungsfinanzierung im Hochschulbereich, kurz „InvestiF“ (CHE/Stifterverband 1999).
[18] Keller 2000: 366
[19] Wissenschaftspolitisches Programm der GEW von 2009, S. 13
[20] vgl. Dehnerdt, Fredrik: Aktionen zur Verteidigung der Gebührenfreiheit in den Bundesländern – ein Sachstandsbericht. In: GEW (Hg.): Vom Studentenberg zum Schuldenberg? Perspektiven der Hochschul- und Studienfinanzierung. Gütersloh 2008, S. 177-182.
[21] Vgl. Dehnerdt, Fredrik / Zennig, Karin: Zwischen Lobbyismus, Straßenkampf und Boykott – welche Aktionsform zu welchem Zeitpunkt? In: Bultmann, Torsten / Himpele, Klemens (Hg.): Studiengebühren in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung – 10 Jahre Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS): Rückblick und Ausblick. Marburg 2009, S. 233-238.
Foto: GEW Privatisierungsreport 6