Um einem Missverständnis vorzubeugen: Weder dämonisiert noch bekämpft die GEW private Bildungseinrichtungen. Sie stellt auch nicht die mitunter sehr gute pädagogische Qualität der dort geleisteten Arbeit in Frage. Schulen in privater oder „freier“ Trägerschaft – zum Beispiel kirchlich getragene Schulen, reformpädaogisch orientierte Schulen oder auch Internate – gab es schon immer, die Schullandschaft konnte ganz gut damit leben. Sie sind sogar im Grundgesetz – unter bestimmten Bedingungen – als Teil des Schulwesens vorgesehen, stehen unter staatlicher Aufsicht und haben daher Anspruch auf finanzielle Unterstützung. Privatschulen spielten jedoch lange Zeit eine nur marginale Rolle. Dass ihre Anzahl jedoch von Jahr zu Jahr wächst, beobachtet die GEW sehr kritisch. Denn: Immer mehr Privatschulen verschärfen die ohnehin schon höchst ungleiche Verteilung von Bildungschancen. Noch prekärer wird es, wenn – wie in den vergangenen Jahren der Fall – zunehmend privatwirtschaftliche Anbieter in diesen „Markt“ drängen und das Schulwesen zum Versuchsfeld für gewinnorientierte und kommerzielle Interessen wird. Das will zwar in Deutschland nicht recht gelingen, hier stehen kommerziellen Begehrlichkeiten Gesetze und Vorschriften entgegen. Aber ein Blick in andere Länder wie die Vereinigten Staaten, Großbritannien oder sogar Schweden zeigt, was möglich ist. Zum Beispiel, dass Unternehmen gleich den ganzen Schulbetrieb übernehmen, oder dass Privatschulketten verschiedenste Dienstleistungen, Personalplanung und Management an ihnen nahe stehende kommerzielle Firmen auslagern.
Die GEW hält es deshalb für notwendig, die Entwicklung genau zu beobachten und auf Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen. Schule hat einen gesellschaftlichen Integrationsauftrag, der zum Beispiel besagt, dass alle Kinder in der Schule den Umgang mit Pluralität erlernen können sollen. Der sozialen Spaltung muss daher Einhalt geboten werden. Zum Schutz der öffentlichen Schule als Gesamtsystem, zum Schutz der Chancengleichheit und des Zusammenhalts. Das öffentliche Schulwesen hat einen hohen Wert in einer demokratischen Gesellschaft.
Struktur des Bildungsangebots nach Trägerschaft
Im gemeinsam von Bund und Ländern in Auftrag gegebenen Bericht „Bildung in Deutschland 2014“ wurde zum fünften Mal eine Bestandsaufnahme vorgelegt, die das deutsche Bildungswesen von der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung bis zu den verschiedenen Formen der Weiterbildung im Erwachsenenalter abbildet. In den Grundinformationen, die im Folgenden herangezogen werden, wird ein Überblick über die Entwicklung der institutionellen Struktur der Bildungslandschaft in Deutschland gegeben. Für die Hamburg-spezifischen Daten wird der dritte Hamburger Bildungsbericht von 2014 herangezogen, in dem ein Überblick über die Rahmenbedingungen des Hamburger Bildungswesens gegeben wird.
Die rund 96.000 Bildungseinrichtungen des formalen Bildungssektors in Deutschland wurden 2012 von knapp 17 Millionen Bildungsteilnehmerinnen und -teilnehmern besucht. Damit wurden rund 3.000 Bildungseinrichtungen weniger gezählt als 1998 (- 3%), als sich der nach der Vereinigung einsetzende Geburtenrückgang in Ostdeutschland noch nicht auf den Schulbereich ausgewirkt hatte. Gegenüber 2010, dem Betrachtungsjahr des letzten Bildungsberichts, ist die Zahl der Bildungseinrichtungen dagegen um knapp 900 (0,9%) gestiegen.
Die Bildungsinfrastruktur wurde in den letzten beiden Jahrzehnten sowohl an die demografische Entwicklung als auch an die veränderte Bildungsnachfrage angepasst. Dies hat zu gegenläufigen Entwicklungen in den verschiedenen Bildungsbereichen geführt: So ist im Elementarbereich die Zahl der Kindertageseinrichtungen aufgrund des Ausbaus des Bildungsangebots für unter 3-Jährige gestiegen, während der Schülerrückgang und Schulstrukturreformen zu einem deutlichen Rückgang der Anzahl der allgemeinbildenden Schulen seit 1998 führten. Im Hochschulbereich stieg dagegen seit 1998 die Zahl der Einrichtungen um 112 bzw. 24%.
Allgemeine und berufliche Schulen sowie Hochschulen befinden sich überwiegend in öffentlicher Trägerschaft, das öffentliche Bildungsangebot wird jedoch vielerorts zunehmend durch Einrichtungen in freier Trägerschaft ergänzt oder teilweise ersetzt. Der Umfang des Bildungsangebots in freier Trägerschaft differiert dabei – auch rechtlich und historisch bedingt – zwischen den Bildungsbereichen.
Der bereits im Bildungsbericht 2012 festgestellte Anstieg der Zahl der Bildungseinrichtungen in freier Trägerschaft über alle Bildungsbereiche hinweg setzt sich weiter fort. Besonders stark ist dieser Anstieg im Bereich der Hochschulen. Auch im Bereich der allgemeinbildenden Schulen ist im letzten Jahrzehnt ein starker Anstieg der Anzahl der Einrichtungen in freier Trägerschaft zu verzeichnen. Dies gilt insbesondere für Grundschulen und Schulen mit mehreren Bildungsgängen. So hat sich die Anzahl der Grundschulen in freier Trägerschaft in Westdeutschland seit 1998 mehr als verdoppelt und in Ostdeutschland nahezu versechsfacht. Trotz dieses Anstiegs nehmen Bildungseinrichtungen in freier Trägerschaft in Deutschland insbesondere im Schulbereich noch eine geringere Rolle ein als in vielen anderen Staaten.
Die Anzahl der öffentlichen Bildungseinrichtungen ist über alle Bildungsbereiche hinweg zurückgegangen, besonders stark im Bereich der allgemeinbildenden Schulen, deren Anzahl seit 1998 um mehr als 9.000 (23%) gesunken ist. Von Schulschließungen und -zusammenlegungen war insbesondere Ostdeutschland betroffen, wo die Anzahl der öffentlichen allgemeinbildenden Schulen um 46% zurückging. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich für die Teilnehmerzahlen. Auch hier geht ein Anstieg der Anzahl der Bildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer an privaten Bildungseinrichtungen mit einem Rückgang der Teilnehmerzahlen an öffentlichen Einrichtungen einher. Eine Ausnahme bildet lediglich der Hochschulbereich.
Kindertagesstätten
Die Entwicklung der Trägerlandschaft in Deutschland ist weiterhin durch eine prozentuale Abnahme der Kinder in Einrichtungen öffentlicher Trägerschaft und somit eine zunehmende Relevanz der freien Träger geprägt (Abb. 1). Allerdings ergeben sich auch Verschiebungen innerhalb der freien Träger. Bei den Angeboten für unter 3-Jährige erhöhte sich seit 2006 der Anteil der konfessionellen Träger deutschlandweit von 21 auf 27%; bei den Angeboten für 3- bis unter 6-Jährige sank ihr Anteil hingegen leicht auf zuletzt 41%. Angebote von privatgewerblichen Trägern und Tageseinrichtungen für Kinder von Betriebsangehörigen spielen weiterhin keine nennenswerte Rolle.
Ende des Jahres 2012 gab es in Hamburg 1.043 Kindertageseinrichtungen im Kita-Gutschein-System. In ihnen werden 56.226 Kinder im Krippen- und Elementarbereich betreut. Die Elbkinder Vereinigung Hamburger Kitas gGmbH ist der Kita-Träger, der die mit Abstand meisten Kinder betreut. Fast ein Drittel aller betreuten Kinder besucht Kindertagesstätten der Vereinigung. Allerdings ist der Marktanteil der Vereinigung seit 2009 leicht gesunken. Steigende Marktanteile verzeichnen insbesondere der Paritätische Wohlfahrtsverband Hamburg e.V. sowie die derzeit 116 nicht verbandsmäßig organisierten Träger. Auffällig ist dabei, dass vor allem diejenigen Verbände und nicht verbandsmäßig organisierten Träger expandieren, die eher kleine Kitas betreiben.
In etwa demselben Zeitraum hat auch die Zahl der Kindertageseinrichtungen an Grundschulen stark zugenommen. Gab es im Schuljahr 2009/10 insgesamt 357 Vorschulklassen an staatlichen und privaten Grundschulen, sind es im Schuljahr 2013/14 bereits 444 Klassen, in denen 8.198 Vorschulkinder lernen und spielen. So gut wie alle staatlichen Grundschulen richten Vorschulklassen ein. An Sonderschulen gibt es noch einmal sieben Vorschulklassen, die von insgesamt 66 Kindern besucht werden.
Allgemeinbildende und berufliche Schulen
Der Privatschulboom hält bundesweit an. Der Nationale Bildungsbericht 2014 unterstreicht dies eindrucksvoll. Demnach gab es im Schuljahr 2012/2013 bundesweit 3.500 allgemeinbildende Privatschulen. Das waren 1.294 mehr als 1998/1999, ein Anstieg um 58 Prozent. So befindet sich 2012 jede zehnte Schule in freier Trägerschaft. Die deutlichsten Steigerungen seit 2006 verzeichnen, neben den Grundschulen (+ 32%), die Schularten mit mehreren Bildungsgängen (+ 135%) und vor allem die Integrierten Gesamtschulen (+ 283%). Gleichwohl sind – von Schulen des Zweiten Bildungsweges abgesehen – die Förderschule mit 19% und das Gymnasium mit 14% am häufigsten in freier Trägerschaft.[1] Auch berufsbildende Privatschulen befinden sich im Aufwind. Von 1998/1999 bis 2012/2013 erhöhte sich die Zahl der berufsbildenden Privatschulen bundesweit von 1.619 auf 2.151. Das entspricht einem Anstieg von 32,8 Prozent.[2]
Hamburg hat im Schuljahr 2013/14 insgesamt 413 allgemeinbildende Schulen. Davon sind 339 staatliche Schulen. Der Rückgang der Anzahl staatlicher Grundschulen seit dem Schuljahr 2010/11 hängt mit Fusionen von Schulen zusammen. Der Rückgang der Gesamtzahl staatlicher Schulen zwischen dem Schuljahr 2012/13 und dem Schuljahr 2013/14 ist auf die Einrichtung von Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) zurückzuführen, in denen Sonderschulen und Regionale Beratungs- und Unterstützungszentren (REBUS) zusammengeführt wurden. Nicht staatliche allgemeinbildende Schulen werden derzeit von 19.838 Schülerinnen und Schülern (10,6%) besucht. Ihr Anteil an der gesamten Schülerschaft ist in den letzten fünf Schuljahren weitgehend konstant.
Die beruflichen Schulen sind im Bildungsbericht nicht erfasst, dafür jedoch im HIBB Jahresbericht 2014. Dort wiederum wird ausschließlich auf die staatlichen, nicht jedoch auf die privaten Berufsschulen eingegangen. An den 44 beruflichen Schulen des HIBB lernen und arbeiten rund 52.000 Schülerinnen und Schüler. Eine Übersicht über das Verhältnis zwischen staatlichen und privaten beruflichen Schulen ist daher einer weiteren Recherche vorbehalten.
Im Wintersemester 2012/13 gab es bundesweit knapp 400 staatliche und staatlich anerkannte Hochschulen in Deutschland. Seit dem Wintersemester 1995/96 sind etwa 100 neue Hochschulen hinzugekommen, insbesondere wurden viele Fachhochschulen in privater Trägerschaft gegründet. Im Kern geht die Zunahme also auf die Ausdehnung des privaten Sektors zurück (Abb. 1). Unter den Fachhochschulen in privater Trägerschaft finden sich insbesondere viele Fernhochschulen sowie Fachhochschulen, deren eingeschränktes Studienangebot speziell auf die Qualifikationsbedürfnisse der Wirtschaft und erwerbstätiger Studieninteressierter zugeschnitten ist.[3]
Von den 20 staatlichen und staatlich anerkannten Hamburger Hochschulen befinden sich zwölf in privater Trägerschaft. Die jüngsten privaten Hochschulen sind die in Hamburg anerkannte MSH Medical School Hamburg, das Euro Business College Hamburg (EBC), die Brand Academy - Hochschule für Design und Kommunikation, sowie die Kühne Logistics University - Wissenschaftliche Hochschule für Logistik und Unternehmensführung.[4]
Grenzen der Privatisierung: Berufsbildende Schulen
Alles begann mit dem „Jesteburger Beschluss“.[5] In Jesteburg, einer Kleinstadt südlich von Hamburg, tagten im Mai 2002 Mitglieder des Hamburger Senats. Der wurde damals von CDU, FDP und Schillpartei gestellt. Die Senatsmitglieder beschlossen, die öffentlichen Berufsschulen der Hansestadt zu privatisieren. Eine gemeinnützige Stiftung des öffentlichen Rechts sollte die Trägerschaft der BBS übernehmen – „und auch schulrelevante Entscheidungen treffen“. So fasst es Professor Dieter Sterzel von der Universität Oldenburg zusammen. Hamburgs Senat plante damals, Entscheidungszuständigkeiten der Schulbehörde dem Stiftungskuratorium zu übertragen. Dort sollten Wirtschaftsvertreter das Sagen haben.
Der Jesteburger Beschluss stieß auf heftigen Widerstand. GEW, Lehrkräfte, Personalräte und viele Eltern starteten ein Volksbegehren gegen die Privatisierung der Beruflichen Schulen.[6] „Bildung ist keine Ware“, hieß die Aktion. Ein großer Erfolg: Bis September 2004 unterschrieben 120.985 Frauen und Männer, die erste Hürde war genommen. Professor Dieter Sterzel untersuchte, wo die verfassungsrechtlichen Grenzen von Schulprivatisierung liegen. Das Gutachten, erstellt im Auftrag der GEW-nahen Max-Traeger-Stiftung, kommt zum Schluss: Das Hamburger Stiftungsmodell verstößt gegen das Grundgesetz, Artikel 7, Absatz 1. Demnach hat der Staat „das originäre Recht“, das öffentliche Schulwesen zu gestalten. Diese Gestaltung umfasse „nicht nur die organisatorische Gliederung der Schule“, sondern auch „die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele“, schreibt Sterzel. Es bleibe „verfassungsungssystematisch kein Raum“, Teile der staatlichen Schulaufsicht „auf der Grundlage funktionaler Selbstverwaltungseinrichtungen zu organisieren.“ Damit sind auch Stiftungen gemeint. Sterzel beanstandet zudem einen „Verstoß gegen das Demokratieprinzip“, das im Grundgesetz, in Artikel 20, Absatz 2 sowie in Artikel 28, Absatz 1 verankert ist. Er verweist auf die „sachlich nicht gerechtfertigte Überrepräsentation“ der Wirtschaftsvertreter im Stiftungskuratorium. Dies sei eine „Privilegierung von gesellschaftlichen Sonderinteressen“ und verletze das „Gebot der Neutralität staatlicher Entscheidungen“. Im Einklang mit dem Grundgesetz steht laut Professor Sterzel hingegen, was die Hansestadt Bremen damals plante. Der Bremer Senat sah vor, lediglich die schulbezogenen Infrastrukturaufgaben zu privatisieren. Eine GmbH, so der Plan, leistet künftig Unterstützung im IT-Bereich sowie bei der Beschaffung für die Schulverwaltung. Sie soll sich zudem um Schulsteuerung kümmern, also um die Einhaltung von Zielvorgaben des Bremischen Bildungssenators. Sterzel sieht hier auch keine Verletzung des Demokratieprinzips.
Und wie ging es in Hamburg weiter? Im Februar 2004 gab es Neuwahlen, fortan stellte die CDU alleine den Senat. Der ließ, unter dem Druck des Volksbegehrens, das Stiftungsmodell fallen. Die Geschichte des HIBB werden wir an anderer Stelle erzählen.
[1] Siehe Bildung in Deutschland 2014, S. 68ff
[2] Siehe Privatisierungsreport 16, S. 14
[3] Siehe Bildung in Deutschland 2014, S. 120
[4] Stand 24.7.2015, http://www.hamburg.de/uni-hamburg/2613398/private-hochschule-hamburg
[5] Dieser Absatz ist leicht verändert übernommen aus dem Privatisierungsreport 11, S. 42 ff.
[6] dazu und zum Folgenden: Dieter Sterzel: Entstaatlichung der beruflichen Schulen. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Privatisierung des Lernorts Schule im Dualen System der Berufsausbildung. Rechtsgutachten, erstattet im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung, sowie http://www.gaebler.info/hamburg/gew-1.htm, 8.2.2010
Foto: GEW-Privatisierungsreport 5