Spieglein, Spieglein an der Wand...

16. Februar 2012Von: Sigrid StraußThema: Bildungspolitik
Schulinspektion - alles ok in Hamburg?

Wortbruch

Hamburg hat seit 2006 eine Schulinspektion und jetzt eine Debatte um die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse. Damit bewegen sich die Schulen auf ein Ranking zu, wie es schon in anderen Ländern seinen Lauf nahm. Soll schulpolitisch so weitergemacht werden oder ist noch ein Richtungswechsel erwünscht und möglich?

Indem der Schulpolitische Sprecher der SPD Lars Holster, als Schulleitung ein Mitglied der Schulinspektion, sich im November 2011 in den Medien dafür aussprach, Ergebnisse der Hamburger Schulinspektion zu veröffentlichen, unternahm er einen Tabubruch. Den hatte die Vorvorgängerregierung (CDU), die die Schulinspektion eingeführt hatte, zunächst vermieden. Ergebnisse sollten nicht veröffentlicht werden. Alle unter anderem von der GEW genannten Argumente, damit würde man ein Ranking wie beispielsweise in England riskieren, wurden seinerzeit als „ideologisch“ von der Hand gewiesen. Dass die Folge von systematisch angelegten Inspektionen unmittelbar zum Vergleich führen muss und ja auch soll, wurde heftig bestritten. Man wolle den Schulen nur „einen Spiegel“ vorhalten, um ihnen von neutraler bzw. externer
Seite zu zeigen, wie sie gesehen werden. Wie die Schule damit umgehe, sei nicht mehr Teil der Inspektion, so die damalige Leitung des Schulinspektions-Teams.

Nun stellen wir fest, dass wir leider Recht hatten: Erst kommt die Maßnahme auf „Samtpfoten“ daher, um die „Akteure“ nicht zu erschrecken, im zweiten Schritt werden die Ergebnisse einer größeren Öffentlichkeit zugeführt, wie jetzt in Hamburg geplant. Als nächstes erfolgt möglicherweise ein offenes Ranking, was zu Konkurrenz unter den Schulen führen wird.

Auf dem Weg zum Bildungsmarkt?

Auch in Hamburg wird argumentiert, Eltern müssten überden Stand der Schulen umfassend informiert sein, um die Möglichkeit zu haben, ihre Kinder eben an dieser oder jener Schule anzumelden. Die Elternkammer Hamburg hat sich gerade dafür ausgesprochen, zukünftig die Schulinspektions-Berichte zu veröffentlichen. Zusätzlich fordert die Kammer, eine übersichtliche Zusammenfassung des Stärken- und Schwächen-Proils aller Schulen bereitzustellen.

Einige Schulen wollen ihrerseits auswählen dürfen, welche Kinder sie annehmen und welche sie abweisen wollen. Das sind die Anfänge eines Bildungsmarktes. Dann werden angenommene Kinder aus fernen Stadtteilen zu dieser Schule und abgewiesene Kinder von nebenan in weit entfernte Schulen fahren müssen. Das hat mit einem  staatlichen Angebot von lächendeckend guten Schulen nicht mehr viel zu tun. Wenn Olaf Scholz versprach, aus allen Schulen „Paläste“ machen zu wollen, so hieße das, dass es keine Rolle spielt, an welcher Schule Eltern ihr Kind anmelden: Sie finden immer ein sehr gutes Angebot.

Die Gefahr, dass Schulen in sozial schwächeren Stadtteilen mit Kindern aus eher bildungsferneren Familien ins Abseits geraten, ist dabei sehr hoch. Schon heute haben Schulen vor allem aus armen Stadtteilen Schwierigkeiten, für bestimmte Fächer Bewerber/innen zu inden. Auch Pädagog/innen können eben auswählen, an welche Schule sie gehen und an welche nicht. Ist das der Abschied von einem solidarischen Bildungswesen, das für alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen Bildungschancen bereitstellt?

Auf eine zentrale Steuerung der Lehrerversorgung hat Hamburg mit Einführung der selbstverantworteten Schulen verzichtet. Wohin führt also der Weg und wer hat das Steuer in der Hand? Schulsenator Rabe hat im Hamburger Abendblatt dafür plädiert, Schulinspektions-Ergebnisse einer breiteren Schulöffentlichkeit zu präsentieren. So sollen künftig auch Klassenelternräte vom Abschneiden der externen Evaluation in Kenntnis gesetzt und auch die Elternschaft auf Elternabenden über das jeweilige Abschneiden der Schule informiert werden. Allerdings sei dabei strengstens darauf zu achten, keine personenbezogenen Daten zu  veröffentlichen.

Die Leitung der Schulinspektion vom Institut für Bildungsmonitoring sieht derzeit ihre Funktion der Kontrolle und Legitimation als nachgeordnet an. Sie wünscht sich eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Schule und  Schulinspektion als Voraussetzung für das Gelingen des Inspektionsprozesses. Deshalb sei es ihr  Anliegen, Inspektionsberichte nicht rückwirkend und noch nicht im ersten Zyklus (!) zu veröffentlichen, da den Schulen zugesichert worden sei, dass die Berichte schulintern bleiben. Sie wünsche sich eine Stärkung der  Verbindlichkeit bei der schulinternen Kommunikation. Deshalb habe der Senator ihrem Vorschlag zugestimmt, die Präsentation vor der Schulöffentlichkeit künftig verbindlich mit deiniertem Zuhörerkreis  durchzuführen: gesamtes Kollegium, Elternrat, Elternvertreter/ innen, Schulkonferenz, Schülervertreter/ innen.

Rahmenbedingungen weitgehend ausgeblendet

Die Schulen werden nach verschiedenen Qualitätskriterien inspiziert. Auffällig ist dabei, „dass der Bereich  Rahmenbedingungen der am wenigsten untersuchte und somit unzureichend abgedeckte Bereich ist“, so ein
aktueller und sehr informativer Sammelband zum Thema „Schulinspektion“. (Matthias von Saldern (Hrsg.), Schulinspektion im europäischen Ausland, Fluch und Segen externer Evaluation, Norderstedt 2011, S.123)  Die Qualitätskriterien dieses Bereiches greifen Aspekte wie Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte, Arbeitsstunden, zusätzliche Aufgaben, Rückzugsmöglichkeiten, Klassengrößen etc. nicht auf. Bekannt ist, dass Lehrkräfte einem hohen Arbeitsdruck ausgesetzt sind und von daher ihr Arbeitsumfeld „moderner und
ruhiger gestaltet werden sollte“ (Ruheräume, eigene Arbeitsräume…) und dass „Klassen- und Fachräume über eine ausreichende mediale Ausstattung verfügen“ sollten.

Die Arbeitszeiten werden durch die  Hamburger Lehrer- Arbeitszeitverordnung nicht abgedeckt, wie durch die Behler-Kommission bestätigt wurde. „Ein positives Arbeitsumfeld und geringere Belastungen haben einen Einluss auf die Qualität des Unterrichts.“ Sie „wirken sich nachhaltig auf das Bildungswesen aus.“ „Wenn der Unterricht verbessert werden soll, müssen auch die Arbeitsbedingungen für die Lehrer verbessert werden.“ (v. Saldern, S. 126 u.129)

Diejenigen, die für die schlechten Rahmenbedingungen verantwortlich sind, sorgen über die von ihnen eingesetzte Schulinspektion dafür, dass diese Rahmenbedingungen ausgeblendet werden. „Klassengrößen und Arbeitsbedingungen der Lehrer sind hochgradig abhängig von den Bestimmungen der  Landesregierungen. Eine Schulinspektion braucht also nicht Kriterien zu untersuchen, für die die Schule selbst nicht verantwortlich ist und die sie selbst nicht ändern kann. Das liegt daran, dass der Auftraggeber der Schulinspektion das Land ist. Da die Schulinspektionen von den jeweiligen Bundesländern beauftragt werden, sind sie von ihnen abhängig. Wer evaluiert aber, ob die vom Land gebotenen Mittel ausreichend sind?“ (v. Saldern, 2011, S.130 f).

Insofern liegt der Schwarze Peter bei den Schulen und bei den Lehrkräften selbst. Wer beim Spiegeln ein gutes Bild abgeben möchte, muss sich auf die eigenen, vorhandenen Kräfte konzentrieren und die reichen eben manchmal nicht aus.

Weshalb die Finnen sich von der Schulinspektion verabschiedet haben

Die Finnen haben sich 1990 von der Schulinspektion  verabschiedet. „Die Schulinspektoren selbst waren der Auffassung, dass keine brauchbaren Informationen über den realen Zustand des Schulwesens geliefert wurden und somit kein wesentlicher Beitrag zur  Qualitätsentwicklung der Schulen geleistet werden konnte.“ Stattdessen wurde die schulische  Selbstevaluation eingeführt und „die Veröffentlichung von Platzierungen und Ergebnissen vermieden.“ Es bestehe die Gefahr, „dass nicht die Verbesserung der Qualität von Schulen im Vordergrund stehe, sondern die triviale medienwirksame Sensationslust.“

Worin liegt nun „das Geheimnis des guten Unterrichts der Finnen?“ In der Personalbesetzung der Schulen! Zusätzlich zu dem uns bekannten Personal „gibt es für mindestens einen Tag pro Woche Schulschwestern, Kuratoren, Psychologen, Speziallehrer, Assistenten,  Küchenpersonal.Finnische Lehrkräfte sind deshalb Fachleute für den Unterricht, durch diese Personalbesetzung ist die tatsächliche Lernzeit im Unterricht besonders hoch. Lehrer/innen müssen keine administrativen Aufgaben wahrnehmen. Darüber hinaus führen kleine Klassenstärken zu einem besseren und effektiveren Lernen, da die Lehrkräfte die Lernfortschritte der Schüler/innen immer im Auge behalten.“

Das Kernstück des „innischen Erfolgs liegt jedoch in der außerordentlich präzisen Förderung von schwachen Kindern, deren Lernproblemen mit Hilfe von Speziallehrern und Psychologen begegnet wird.“ Sollte dies nicht ausreichen, werden weitere Experten hinzugezogen. „Das Kind erhält seinen eigenen  Lehrplan, wobei die Zensierung dann nicht ziel-, sondern fähigkeitsbezogen erfolgt. Durch dieses System bleiben schwache Kinder in der Klassengemeinschaft integriert. Der Vergleich von Schulen hat somit für  Außenstehende einen zu geringen Aussagewert, es gibt unterschiedliche Ansprüche in den Schulen. Ohne  Schulinspektion aber mit kleinen Klassen, viel Schulpersonal und intensiver Förderung Leistungsschwacher scheint das System aufzugehen, was die Finnen selbst als normal und selbstverständlich betrachten.“ (v.  Saldern, S. 223 f)

Schulinspektion ade! Z. B. wenn das Geld ausgeht?

In Schleswig-Holstein wurde die  „Externe Evaluation im Team“ (Evit) 2010 aus Kostengründen eingestellt. Hier gibt es stattdessen eine interne Evaluation. „Mit dem Angebot verschiedener Evaluationsverfahren für die interne Evaluation erhalten die  Schulen eine Möglichkeit, die Qualität der pädagogischen Arbeit in eigener Regie passgenau zu überprüfen. Diese Verfahren können zur Vorbereitung eines  Schulentwicklungsvorhabens im Sinne einer Bestandsaufnahme oder zur Überprüfung der Zielerreichung im Sinne einer Evaluation genutzt werden. Jede Schule erhält auf diese Weise eine individuelle Rückmeldung zur geleisteten Arbeit mit gezielten Hinweisen zur Weiterentwicklung. Das Bildungsministerium stellt Schulleiterinnen und Schulleitern sowie Lehrkräften  erprobte und gut handhabbare Instrumente zur Verfügung, die mit geringem Aufwand einen möglichst großen Nutzen bieten. Darüber hinaus erhalten die Schulen eine Reihe von flexiblen  Unterstützungsangeboten zur Begleitung von Evaluationsprozessen.“ (http://www.schleswig-holstein.de/Bildung/DE/Schulen/Schulqualitaet/evalu...)

Hamburg hat die Chance, dem Beispiel  von Finnland und Schleswig-Holstein zu folgen. Das Geld für die Schulinspektion lässt sich besser  verwenden, indem es in die direkte Förderung leistungsschwächerer Schüler investiert wird.

SIGRID STRAUSS
stellv. Vorsitzende GEW Hamburg