Rund drei Viertel der Schulabbrecher bekommen keinen Ausbildungsplatz. Um Jugendliche erfolgreich zum Abschluss zu lotsen, spielt auch Schulsozialarbeit eine Rolle. Dort, wo sie eingesetzt wird, hilft sie, die Abbrecherquote zu verringern.
Das Ziel des Dresdner „Bildungsgipfels“ 2008 ist noch längst nicht erreicht: Noch immer verlässt jeder 18. Jugendliche die Schule ohne Abschluss. Das ist das Ergebnis der vierten Studie des Deutschen Caritasverbandes*, die bundesweit die Zahlen der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss ausgewertet hat. Während ihr Anteil seit 2009 (6,9 Prozent) stetig gesunken war, blieb er von 2012 auf 2013 erstmals konstant bei 5,6 Prozent. In Dresden war indes vereinbart worden, die Quote bis 2015 von acht auf vier Prozent zu halbieren. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind der Caritas-Studie zufolge groß: In Bayern und Hamburg lag die Zahl der Schulabbrecher bei 4,4 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern bei 9,6 Prozent. In den Kreisen und kreisfreien Städten waren die Schwankungen noch extremer: So gab es die niedrigste Schulabgängerquote ohne Abschluss in Heidelberg sowie in den Landkreisen Eichstätt und Bad Kissingen mit jeweils 1,7 Prozent, im Landkreis Mansfeld-Südharz (Sachsen-Anhalt) lag sie dagegen bei 12,6 Prozent.
Einfache Erklärungen für die großen Unterschiede gibt es nicht. „Wenn die Politik, die Schule, das Arbeitsamt und die Wirtschaft kooperieren, schaffen mehr Jugendliche einen Abschluss“, betont Caritas-Präsident Peter Neher. Neben Bundeslandeffekten, dem Anteil der Förderschüler und der Arbeitslosenquote kann laut Studie eine verlässliche Schulsozialarbeit die Abbrecherquote positiv beeinflussen. Kreise und Städte, denen das gelingt, haben an allen Hauptschulen mindestens einen Schulsozialarbeiter mit einer halben Stelle.
Die Länder fordern seit Jahren, Schulsozialarbeit auszuweiten. Von 2011 bis 2013 konnten die Kommunen durch finanzielle Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes (BuT) rund 3 000 neue Stellen schaffen – ein Plus von 30 Prozent. Durch den Einsatz von Landesmitteln konnten nach Auslaufen des BuT zwar viele erhalten werden (s. E&W 1/2015). Es handle sich dabei aber oft um zeitlich befristete Projekte, die den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen erschwerten, gibt Bernhard Eibeck, Referent für Jugendhilfe und Sozialarbeit beim GEW-Hauptvorstand, zu bedenken. Er hält „klare und unbefristete Stellen“ für notwendig: mittelfristig eine Vollzeitstelle an jeder Schule, langfristig pro 150 Schüler eine volle Stelle.
Vorbild Heidelberg
Die Geschwister-Scholl-Schule in Heidelberg in Baden-Württemberg gehört mit Blick auf den erfolgreichen Hauptschulabschluss zu den Vorzeigeschulen. „Wenn bei uns viele durchfallen, sind es zwei“, sagt die Leiterin der Gemeinschaftsschule, Sabine Horn. „Meist schaffen es alle.“ Dazu trägt ihr zufolge auch die Schulsozialarbeit bei: Die Schülerinnen und Schüler könnten in Gesprächen „nichtschulische Sachen, die sie von zuhause mitbringen, abkippen, um den Kopf wieder frei zum Lernen zu haben“. Schulsozialarbeiter Rainer Schlegel ist seit 18 Jahren in Vollzeit an der Ganztagsschule tätig und immer zu erreichen. „Ich unterstütze die Schüler dabei, ihren Schulalltag zu bewältigen“, sagt er. „Fast alle kommen regelmäßig zur Schule, aber nicht alle kriegen im Unterricht genug mit.“ Sind etwa familiäre Probleme der Grund, spricht Schlegel auch mal mit den Eltern. Auch für ihn ist „der freie Kopf“ wesentlich für den Schulerfolg.
Die Klassenlehrerin einer achten Klasse, Katharina Stadelhofer, schätzt Schlegels Fachwissen, das Lehrkräfte ihrer Einschätzung nach trotz Praktika und Fortbildungen nicht in dem Maß haben. Seit sie ihre Schülerinnen und Schüler in der fünften Klasse übernahm, arbeiten Schlegel und Stadelhofer eng zusammen. „Er erlebt die Kinder auch allein und kennt sie nochmal ganz anders“, betont das GEW-Mitglied. Außerdem habe er mehr Zeit für Einzelgespräche: „Ich muss auch mit meinem Unterrichtsstoff durchkommen.“
Seit 2002 wird Schulsozialarbeit in Heidelberg flächendeckend an Haupt- und Förderschulen angeboten und stetig auf alle Schulformen erweitert. An der Geschwister-Scholl-Schule gibt es zudem seit Jahren Joblotsen, die sich mit um Praktika und Ausbildungsverträge für die Jugendlichen kümmern – und diese damit auch für einen erfolgreichen Abschluss motivieren.
Negativschlagzeilen
In Sachsen-Anhalt, wo der Landkreis Mansfeld-Südharz Negativschlagzeilen machte, verließen 2013 mehr als neun Prozent die Schule ohne Abschluss – auch wenn die Quote im Vergleich zum Vorjahr um fast zwei Prozentpunkte sank. Die Zahl der Förder- und Sonderschüler ist in Sachsen-Anhalt seit Jahren besonders hoch (2013: 6,1 Prozent). Selbst wenn diese Jugendlichen mit Erreichen des Abschlusses für Lernbehinderte von der Schule gehen, fallen sie statistisch unter die Abgänger ohne Hauptschulabschluss. Der Bedeutung von Schulsozialarbeit ist man sich indes auch in Sachsen-Anhalt bewusst: Seit dem Schuljahr 2008/2009 gibt es das mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds für Deutschland (ESF) finanzierte Programm „Schulerfolg sichern“ mit Schwerpunkt Schulsozialarbeit. Bis 2015 wurden rund 210 Stellen an 200 Schulen gefördert, in der neuen Förderperiode wird die Zahl auf 380 Stellen an 350 Schulen steigen.
Flächendeckend seien die Sekundarschulen allerdings noch nicht versorgt, sagt Franziska Lau, Projektleiterin der landesweiten Koordinierungsstelle „Schulerfolg sichern“ bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJ)**. Schon heute stelle sich die drängende Frage: Was passiert nach dem Ende der Förderperiode im Jahr 2020 – oder auch schon eher? Die aktuellen Projekte sind Lau zufolge bis 2018 finanziert. Doch die Koordinatorin weiß: „Verlässlichkeit ist wichtig.“
Auch die 2015 amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), die sächsische Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU), betonte: „Schulsozialarbeit ist eine zentrale Maßnahme, um bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche wirksamer zu fördern – gerade an Schulen mit dem Bildungsgang Hauptschule und an Förderschulen – und um die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss zu verringern.“ Die Länder müssten finanziell in die Lage versetzt werden, „ihr Angebot unter anderem an Schulsozialarbeit bedarfsgerecht noch mehr auszuweiten“. Der Bundeselternrat forderte Ende 2014 ein dauerhaftes Bundesprogramm für jede Schule. Kinder- und Jugendsozialarbeit sei „ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, dem sich Bund, Länder und Kommunen gemeinsam stellen müssen“, betonte der stellvertretende Vorsitzende Wolfgang Pabel. Dem erteilte Kurth vergangenes Jahr in einem „Handelsblatt“-Interview eine Absage: Der Bund habe das BAföG komplett übernommen. Die gesparten 1,2 Milliarden Euro pro Jahr müssten die Länder nun in der Bildung einsetzen.
Nadine Emmerich, freie Journalistin
*www.caritas.de/fuerprofis/ fachthemen/kinderundjugendliche/ bildungschancen/bildungschancen
**Landesweite Koordinierungsstelle „Schulerfolg sichern“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS): www.schulerfolg-sichern.de/
Der Artikel erschien in der E&W 02/2016
Foto: © Dieter Schütz / www.pixelio.de