Die Schulbehörde hat die ersten Entwürfe für neue Bildungspläne der Grundschulen, Stadtteilschulen und Gymnasien vorgelegt. Geplant sind drei wesentliche Änderungen: Die Einführung von drei fachübergreifenden „Leitperspektiven“ (Werte – Nachhaltigkeit – Digitalisierung), eine Neujustierung der Leistungsmessung durch stärkere Gewichtung von Klausuren sowie eine strengere Vorgabe von „Kerncurricula“. Die GEW ruft ihre Mitglieder dazu auf, diesen Prozess kritisch-konstruktiv zu begleiten.
Was sind die drei wesentlichen Änderungen?
- Einführung von drei fachübergreifenden „Leitperspektiven“: Werte – Nachhaltigkeit – Digitalisierung
Die Perspektive „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ basiert auf einem Beschluss der Vereinten Nationen und zielt darauf ab, „alle Lebensbereiche nach den Prinzipien der Dauerhaftigkeit, Gerechtigkeit und Teilhabe für alle zu organisieren und eine friedliche und tolerante Gesellschaft zu schaffen, die allen Menschen die Teilhabe ermöglicht und dabei die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit bewahrt“ (Entwürfe für Bildungspläne). Die GEW Hamburg setzt sich grundsätzlich für eine Transformation der Bildung durch eine Verankerung von BNE und eine wirkungsvolle Umsetzung des Nationalen Aktionsplans (NAP) durch den Hamburger Masterplan ein.
Die Leitperspektive „Wertebildung“ soll darauf abzielen, die Grundwerte unserer Gesellschaft, wie sie im Grundgesetz beschrieben sind, im Unterricht besser als bisher zu verankern. „Die Schülerinnen und Schüler sollen lernen, an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken und für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten“ (Entwürfe für Bildungspläne). Eine Stärkung dieses Bereiches ist sinnvoll und nötig. Gerade die Corona-Krise zeigt deutlich, dass Demokratie stets aufs Neue erlernt werden muss. Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Teilhabe sowie Mitbestimmung, soziale Gerechtigkeit und Diversität werden zunehmend infrage gestellt. Politische Bildung muss diese Werte mehr denn je vermitteln. Zuletzt setzte sich die GEW im Zuge der AfD-Angriffe auf Schulen mit der Bedeutung politischer Bildung an Schulen auseinander und forderte u.a., Antifaschismus als Bildungsziel ins Schulgesetz aufzunehmen.
Das Thema „Leben in der digitalen Welt“ soll die dritte Leitlinie sein. In allen Bildungsplänen finden sich jetzt Hinweise, wie der Unterricht auf die Anforderungen der Digitalisierung ausgerichtet werden kann. Dabei soll es vor allem darum gehen, „die nachwachsenden Generationen zu ‚digital mündigen‘ Menschen zu bilden“ (Entwürfe für Bildungspläne). Auch aus Sicht der GEW ist digitale Medienkompetenz mehr als einen Computer benutzen und im Netz surfen zu können. Wichtig ist ihr, dass der Fokus nicht nur auf die Anwendungsorientierung gelegt wird, sondern es geht darum, Kinder und Jugendliche zu befähigen, souverän und mündig an der digitalen Welt teilzuhaben und diese mitzugestalten. Die GEW begleitet die Digitalisierung in der Bildung intensiv im GEW-Bundesforum „Bildung in der digitalen Welt“.
- Neujustierung der „Leistungsmessung“: Stärkere Gewichtung von Klausuren
Neu ist auch eine stärkere Konzentration auf schriftliche Klassenarbeiten und Klausuren. Künftig dürfen diese nicht mehr durch andere Leistungen ersetzt werden. Zudem sollen die erzielten Ergebnisse die Note in den Hauptfächern stärker als bisher bestimmen. Die GEW sieht dies kritisch, denn „Prüfungen sind nicht alles“. Einen gelungenen Bildungsprozess mache „mehr aus als Noten und Prüfungen“. Vorrang sollte haben, grundlegendes Wissen und Können zu vermitteln und die individuellen Potenziale der Schülerinnen und Schüler möglichst weit zu entfalten.
- Orientierung am Kompetenzbegriff wird fortgeführt und „Kerncurricula“ strenger vorgegeben
Die bisherige „Kompetenzorientierung“ der Bildungspläne soll durch so genannte „Kerncurricula“ ergänzt werden, die den Unterrichtsinhalt genauer beschreiben. Die GEW ist eine Kritikerin der „Kompetenzorientierung“ von Unterricht. Als neues Leitziel von Schule in den letzten Jahren durchgesetzt, geschah es „ohne demokratische Legitimation und am Souverän, den Bürgern, vorbei. Dabei kann das Kompetenzkonzept als wissenschaftlich ungeklärt gelten, es senkt empirisch nachweisbar das Bildungsniveau, widerspricht den Leitzielen eines demokratischen Bildungswesens, zersetzt didaktisches und pädagogisches Denken und Handeln und behindert Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu mündigen Staatsbürgern“ (Prof. Dr. Jochen Krautz, in: BdWi-Studienheft 10. Marburg 2015). Inwiefern die geplanten Änderungen eine Verschiebung weg von Persönlichkeitsbildung hin zu Kompetenzorientierung eher begünstigen, könnte in Rahmen einer GEW Stellungnahme weiter untersucht werde .
Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob in den neuen Plänen Arbeitszeiterhöhungen für die Lehrkräfte versteckt sind.
Wie kann ich Einfluss nehmen?
Die Entwürfe der neuen Bildungspläne sollen breit diskutiert werden – auch in der GEW! Die aktuelle Überarbeitung ist in zwei Stufen geplant. Jetzt wurden die Entwürfe der Grundschule, der gymnasialen Oberstufe und der Hauptfächer in der Mittelstufe vorgestellt. Im nächsten Jahr folgen die restlichen Bildungspläne. Im Herbst sollen die überarbeiteten Bildungspläne dann veröffentlicht und ab dem Schuljahr 2023/24 an allen Schulen verbindlich eingeführt werden.
Mitmachen!
Die GEW ruft ihre Mitglieder dazu auf, diesen Prozess zu begleiten: Wenn Ihr Euch vor Ort, mit euren Kolleg*innen, in Fachkonferenzen oder anderen Zusammenhängen mit den Bildungsplänen beschäftigt, gebt bitte, auch ggf. zu einzelnen Fächern oder Themen, eine Rückmeldung an info@gew-hamburg.de. Dies soll in eine Gesamtstellungnahme der GEW einfließen.
Hintergrund: Was sind Bildungspläne?
Bildungspläne sind die „Grundlage für Unterricht und Erziehung“ (Hamburger Schulgesetz §4) und legen fest, welche Ziele und Inhalte in jedem einzelnen Schulfach und jeder Jahrgangsstufe unterrichtet und gelernt werden sollen. Die aktuellen Pläne sind öffentlich verfügbar. Dass eine Neufassung nötig sei wurde 2019 in einem parteiübergreifenden Antrag mit dem Titel „Rahmenvereinbarungen zur Sicherung des Schulfriedens“ in der Hamburgischen Bürgerschaft beschlossen. Die Entwürfe der Bildungspläne finden sich hier.
Fredrik Dehnerdt, Mitarbeiter für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit GEW Hamburg
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