Kein Luxus

23. Januar 2012Von: Lorenz IversenThema: Bildungspolitik
Ohne Doppelbesetzung in der Inklusion geht gar nichts
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Die I-Klassen in Hamburg sind deswegen ein Erfolgsmodell, weil hier zwei Pädagogen gleichzeitig in einer Klasse tätig sind. Fachlehrerinnen und Fachlehrer können sicher sein, nie allein mit einem Problem oder einer Situation fertig werden zu müssen. Die behinderten Kinder werden angemessen versorgt. Eltern von Kindern ohne Förderbedarf können davon ausgehen, dass trotz der Energie und dem Engagement, das die Betreuung behinderter Kinder erfordert, auch ihre Kinder erfolgreich lernen können.

In den Eckpunkten, so wie sie in der Pressemitteilung der BSB vom 23.11. wiedergegeben werden, kommt Doppelbesetzung nicht mehr vor. Erst in einer hinterher geschobenen Presseerklärung vom 24.11. taucht sie auf. Sie wird nach Auskunft der Schulbehörde allenfalls für „Kinder mit Behinderungen“, also eine relativ kleine Gruppe, einigermaßen flächendeckend aufrecht zu erhalten sein. Allerdings mit einem geringeren sonderpädagogischen Anteil als bisher. Für die Kinder mit LSE-Förderbedarf sieht das aber schon ganz anders aus: Sind 4 von ihnen in einer Klasse – mehr sollten es ja auch aus Behördensicht nicht sein – ergeben sich ganze 14 Stunden für Halbtagsschulen (bei ca. 30 Wochenstunden insgesamt). Für den Ganztagsbereich kommen noch einmal großzügige 1,2 Stunden dazu – für vier Schülerinnen und Schüler, versteht sich. Man merkt: das reicht gerade für die sogenannten Hauptfächer. Wohin das führt, war in der letzten E&W (GEW Bundeszeitung) in einem Bericht über die Inklusionsklassen in Bremen nachzulesen. Der Artikel beginnt: „Der Traum fast aller Lehrkräfte – hier wird er wahr: Vor der Klasse steht kein Einzelkämpfer, sondern zwei Lehrkräfte gehen von Tisch zu Tisch, beantworten Fragen, geben Tipps.“ Im weiteren Verlauf des Artikels wird deutlich, dass das nicht für alle Stunden gilt. Die Folgen haben auch viele Kolleginnen und Kollegen an Hamburgs Schulen, die in diesem Schuljahr bereits in Inklusionsklassen unterrichten, am eigenen Leibe erfahren.

Dem Traum der einen steht immer häufiger der Alptraum der anderen gegenüber, die mit dem Problem der Inklusion vor der Klasse allein gelassen werden. Eine Umfrage des Gesamtpersonalrats unter dem pädagogischen Personal, das an I-Neu-Klassen unterrichtet, unterstreicht den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Doppelbesetzung und Arbeitsbelastung. (s. GPR Info vom Oktober 2011 www.gpr.hamburg.de) Eine deutliche Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen empfindet die Arbeit bei direkter Unterstützung im Unterricht als gar nicht oder nur wenig belastend. Genau umgekehrt ist es, wenn sie alleine vor der Klasse stehen. Die Situation wird dann als sehr belastend empfunden. Kaum vorstellbar, dass Fortbildung und externe Unterstützungsangebote daran viel ändern können. Zu befürchten ist eine Zweiklasseninklusion an den Schulen. Einige Fächer werden doppelt besetzt, andere nicht. Klassen mit hoher Doppelbesetzung stehen andere ohne gegenüber etc. Dazwischen werden Lehrkräfte und Sozialpädagogen zerrieben, die, anders als beim jetzigen I-Klassenmodell, für mehrere Klassen und mehr Schüler zuständig sind.

Doppelbesetzung ersetzt sicher nicht pädagogische Konzepte, aber sie ist Voraussetzung und Gelingensbedingung, um Konzepte erfolgreich zu verwirklichen, also für erfolgreiche Inklusion. Die Personalzuweisungen an die Schulen müssen auch bei der Inklusion von LSE-Kindern regelhafte Doppelbesetzung möglich machen. Dafür werden aber mehr Ressourcen benötigt, als jetzt im Inklusion-Light-Modell des Senators vorgesehen sind. Ein Unterschied zwischen „Kindern mit Behinderungen“ und LSE-Förderbedarf ist in der Praxis in der Regel nicht angebracht oder nachzuvollziehen und entspricht auch nicht dem wissenschaftlichen Forschungsstand. Vielleicht sollte sich der Senat doch mal fragen, ob Hamburg die Elbphilharmonie dringender braucht als gelungene Inklusion oder ob aus der Schuldenbremse unbedingt eine Inklusionsbremse werden muss.

LORENZ IVERSEN