Inklusion – „Note Eins für Hamburg“

26. September 2014Von: WebredaktionThema: Bildungspolitik
So schreibt es jedenfalls die BSB...
Inklusion

Die Bertelsmannstiftung hat es in ihrem Datenreport amtlich festgestellt und die BSB hat es im Newsletter vom 11.04.14 sogleich verkündet: „Hamburg ist bundesweit Spitzenreiter bei der Umsetzung der Inklusion!“ Ist das aber wirklich Spitze?

 

Im Schuljahr 2012/2013 nahmen 54 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf am gemeinsamen Unterricht an einer Regelschule teil. Bundesweit liegt Hamburg damit weit über dem Durchschnitt (28,2 Prozent). Zugleich gehen immer weniger Schüler_innen auf Sonderschulen: Der Anteil an Sonderschüler_innen verringerte sich seit der Unterzeichnung der UN-Konvention für den Ausbau des gemeinsamen Unterrichts von 4,9 auf 3,8 Prozent und liegt damit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 4,8 Prozent. Wir nehmen uns das Recht, auf die Baustelle hinter der Fassade zu schauen und zu fragen:

 

● Kann es sein, dass diese „Spitzenleistung“ noch Folge und damit glückliches Resultat der vor über dreißig Jahren in HH eingeführten Integrationsklassen bzw. der späteren Integrierten Regelklassen ist? Diese sind jedenfalls an vielen Schulen die Basis für die Umsetzung der Inklusion gewesen und mit der in ihnen erworbenen Erfahrung und Kompetenz Voraussetzung für „erfolgreiche Inklusion“. Die Zahlen, mit denen die BSB sich schmückt, verschweigen diese Voraussetzungen genauso wie die Tatsache, dass die Integrationsklassen „aufwachsen“, das heißt auslaufen. Die Integrationsklassen und die Integrierten

Regelklassen werden sozusagen geräumt.

 

● Der Raum innerhalb des Hamburger Schulwesens aber, aus dem das bundesweit anerkannte Modell der Integrationsklassen vertrieben wird, wird erheblich verkleinert und schlechter ausgestattet in Zukunft; es muss den willkürlich bestimmten „Schwerpunktschulen“ Platz bieten. Wird es dazu passend einen Abstellraum für Schulbegleitungen geben? Vorsicht, Kopf einziehen!

 

● Was wird aus weiterem eingesparten Raum werden, vielleicht ein Raum für die Entwicklung eines pädagogischen Konzeptes für die Inklusion im Primar- und Sekundarbereich? Wird zumindest an einem Konzept für die Inklusion von SuS mit speziellem Förderbedarf und/oder herausforderndem Verhalten gearbeitet werden? Oder wird der Raum stattdessen für das Pilotprojekt ‚Diagnostik’ benötigt, um die auffällig gestiegenen Zahlen von SuS mit dem Förderbedarf Lernen/Sprache/Soziale und emotionale Entwicklung zu nivellieren? Wird der Raum gar für die Ausweitung standardisierter Mess- und Testverfahren benötigt? Achtung, Arbeitsschuhe tragen!

 

● Völlig überfüllt fällt übrigens ein Raum auf, in dem sich Kolleg_innen aufhalten, auf deren Schultern die Hauptlast der Inklusion ruht und die allenfalls in Einzelstunden entlastet werden: es ist die große Mehrheit der Fachlehrer_innen und Klassenlehrer_innen. Achtung, Sauerstoffmasken notwendig!

 

● Nach den OECD-Indikatoren für 2012 wendet Deutschland 5,3 Prozent seines BIP für die Bildung auf (alle Bildungsbereiche zusammengenommen), das ist weniger als der OECD-Durchschnitt von 6,2 Prozent. Das ist nicht spitze! In welchem Raum sind die neuesten Hamburger Daten dokumentiert und zur Diskussion gestellt, Zahlen, die möglicherweise die notwendige Abkehr von „auskömmlicher“ Bildungspolitik erforderlich machen? Achtung, gegebenenfalls den Baustellenleiter auswechseln!

 

● Hinter der Fassade verborgen entdecken wir in einem weiteren Raum die bundesrepublikanisch einmalig hohe Förderquote in Hamburg, die die BSB in ihren Mitteilungen aber verschweigt. Hier liegen wir mit 8.3 Prozent über dem Bundesdurchschnitt von 6.6 Prozent. Die Erklärung aus Gütersloh dazu ist ganz einfach: „Die gestiegene Quote deutet einen bisher verdeckten Förderbedarf an, für den jetzt zusätzliche personelle und finanzielle Ressourcen benötigt werden“, sagte Jörg Dräger. Dafür hat die GEW einen passgenauen Vorschlag:

 

550 Stellen mehr!

Um weitere „auskömmliche“ Fehlplanungen zu vermeiden und den Fokus wieder auf die pädagogische Arbeit zu legen, fordert die GEW 550 Stellen mehr für KESS 1-3 Grund- und Stadtteilschulen, damit jede Klasse mit einer 0,5 Stelle Sonderpädagogik/Sozialpädagogik regelhaft nach IR-Modell versorgt werden kann. Daraus ergibt sich ein Bedarf für die

 

• Grundschulen von 456 Stellen Sonderpädagogik,

• Stadtteilschulen von 704 Stellen Sonderpädagogik.

 

Das macht bis jetzt einen Bedarf von insgesamt 1160 Stellen Sonderpädagogik. Zum 1.8.2013 konnte die BSB von der Planung ausgehen, dass 631,6 Stellen Sonderpädagogik in den Kapiteln Grundschulen und Stadtteilschulen (Inklusion + ehemalige Integration) für den Übergang in ein inklusives Schulsystem zur Verfügung standen. Wenn wir von den obengenannten Zahlen ausgehen, fehlen bei der flächendeckenden Ausstattung aller Schulen mit den KESS 1-3 Faktoren noch ca. 528,4 Stellen Sonderpädagogik. Also packen wir es an...

 

Ein erster Schritt: Beteiligt Euch an der Postkarten-Aktion, um die GEW-Forderungen von 550 Stellen mehr für die Inklusion zu unterstützen. Im Herbst soll Senator Rabe mit den zahlreichen Postkarten für eine bessere Ausstattung der Inklusion in Hamburg konfrontiert wer-den! Hier der Link zum Unterschreiben online: http://www.gew-hamburg.de/mitmachen/aktionen/inklusion-braucht-mehr

 

Ein zweiter Schritt: Lasst uns in Zukunft gemeinsam hinter die  Fassade der BSB schauen. Das macht bestimmt mehr Spaß und: Gemeinsam sind wir stärker und können Veröffentlichungen der BSB schneller als das erkennen, was sie sind: Schönrederei, d.h. Propaganda, die nur die Fassade im Blick hat, nicht aber den Kern unserer eigentlichen Arbeit und deren notwendige Bedingungen.

 

Britta Blanck, Ulrich Meister, Sven Quiring, Stefan Romey, Stephan Stöcker

 

Foto: Inklusion © Dieter-Schuetz / www.pixelio.de