Wenn Bund, Länder und Kommunen Finanzpakete für Flüchtlinge und Asylsuchende schnüren, wird ein zentrales Thema oft vergessen: Bildung. Die GEW hat mit ihrem Positionspapier „Bildung kann nicht warten!“* konkrete Maßnahmen vorgestellt, die erforderlich sind, damit Zugang zu guter Bildung für Geflüchtete gewährleistet werden kann – von der Kita bis zur Hochschule (s. E&W 11/2015 und 12/2015). Entscheidend ist, dass die notwendigen Mittel schnell in bestehende und tragfähige Instrumente fließen bzw. den dauerhaften Aufbau neuer Strukturen ermöglichen.
Politisch besteht Einigkeit, dass Bildung ein zentraler Schlüssel für eine gute Integration geflüchteter junger Menschen ist. Nach der GEW haben auch die Kultusminister der Länder einhellig erklärt: „Mit Bildung gelingt Integration.“ Ins gleiche Horn stößt die Wissenschaft. Klar ist aber auch, dass pädagogische Fachkräfte dauerhaft Bildungsaufgaben übernehmen müssen. Und das kostet Geld.
Das Kernproblem besteht darin, die zusätzlichen Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen für Bildung zu berechnen. Niemand kann verlässlich vorhersagen, wie viele Menschen noch kommen werden. Im vergangenen Jahr waren es über eine Million. Die Zahl künftiger Asylsuchender lässt sich nur schätzen. Die GEW hat zum einen die Pro-Kopf-Aufwendungen im Kita-, Schul- und Hochschulbereich und zum anderen die Altersstruktur der in 2014 zugewanderten Flüchtlinge zu Grunde gelegt (s. Grafik). Sie sieht einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf von mehr als drei Milliarden Euro jährlich für Kitas und den Schulbereich. Die Kultusministerkonferenz (KMK) kommt pro Jahr auf 2,3 Milliarden Euro Mehrbedarf an Schulen. Der Bildungsforscher Ludger Wössmann vom ifo-Institut wiederum hat errechnet, dass an allgemeinbildenden Schulen zusätzliche Mittel in Höhe von 1,4 Milliarden Euro erforderlich sind. Wössmann wie die KMK dürften ähnlich wie die GEW kalkuliert haben. Die Unterschiede hören sich daher größer an als sie sind. Sie hängen davon ab, auf welche Bildungsbereiche sich die jeweiligen Berechnungen beziehen und vor allem, wie hoch man den Zugang geflüchteter Kinder und Jugendlicher ins Bildungswesen insgesamt schätzt: Die GEW geht von 300 000, die KMK von 325 000 Schülerinnen und Schülern aus. Die größte Unschärfe betrifft junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren: Ob sie unter die allgemeine Schulpflicht fallen, eine Ausbildung machen, ein Studium aufnehmen oder in berufsvorbereitende Maßnahmen gehen, lässt sich kaum vorhersagen. Dagegen herrscht Konsens, was ein Kita-Kind, ein Schüler, Auszubildender oder Studierender kostet.
Dieser finanzielle Mehraufwand ist auch zu stemmen: Allein 2015 lagen die Einnahmen 5,2 Milliarden höher als geschätzt; bis 2020 werden weitere Milliarden zusätzlich erwartet.** Für den Zugang geflüchteter Kinder und Jugendlicher in die Bildung müssten die staatlichen Einnahmen also nicht erhöht werden. Größere Probleme gibt es, wenn es gilt, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. Fakt ist: Es fehlt derzeit an ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen für Kitas und Schulen. Spezielle Kompetenzen wie Deutsch als Fremdsprache (DaF) sind ‚Mangelware‘ (s. auch S. 19). Weitere Mittel müssten deshalb zügig in die Fachkräfteentwicklung, in Aus-, Fort- und Weiterbildung investiert werden.
Schließlich stellt sich die Frage, wie das zusätzliche Geld dorthin gelangt, wo man es dringend braucht: Da der Bund wegen des Kooperationsverbotes keine direkten Investitionen in Bildung tätigen darf, wäre denkbar, den Länderanteil an der Umsatzsteuer anzuheben, auch eine Pro-Kopf-Finanzierung durch den Bund wäre möglich. Die erste Variante böte für die Länderhaushalte Verlässlichkeit. Variante zwei wäre ggf. zielgenauer. Letztlich verweist diese Debatte auf grundlegende Strukturprobleme: Für eine nachhaltige Bildungsfinanzierung müssten sich die staatlichen Einnahmen erhöhen, Länder und Kommunen deutlich besser ausgestattet werden. Hier gibt es schwerwiegende Versäumnisse der Vergangenheit, die sich jetzt drastisch bemerkbar machen. Die Asylsuchenden sind dafür nicht verantwortlich.
Nils Kammradt, Leiter des Parlamentarischen Verbindungsbüros der GEW
*Die Handlungsempfehlungen „Bildung kann nicht warten“ finden Sie auf der GEW-Website: www.gew.de/flucht-und-asyl/ **www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/ Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2015/11/2015-11-05-pm-42.html Der Artikel erschien in der E&W 01/2016
Graphik: Quelle: Berechnungen der GEW/Daten: BAMF 2014