Dieser Artikel ist erschienen in der mitarbeit 25/2021, der Zeitschrift der Freunde des Museum der Arbeit anlässlich der Ausstellung "Konflikte".
von Martin Dieckmann
Die Säulen der »Konfliktpartnerschaft« für Beschäftigte sind in den Betrieben Gewerkschaften und Betriebsräte, die über Arbeitsbedingungen, aber auch Qualifizierung, Gesundheit, Schutz vor Diskriminierung und vieles mehr verhandeln.
Diese Welt ist ungeheuer bunt, vielfältig, gerade was die Art betrifft, in der Interessenkonflikte ausgehandelt und ausgetragen werden. Aber nicht alle Beschäftigten profitieren von diesen Säulen. Der Blick auf die Statistiken zeigt, wie groß die Anzahl von Betrieben ist, in der es gar keinen Betriebsrat gibt. Untersuchungen zeigen, wie extrem hart Gründungen von Betriebsräten auch bekämpft werden. Wie sieht also die Realität der regulierten Konfliktpartnerschaft in Deutschland aus?
Tatsächlich werden, in der Rückschau auf die vergangenen 30 Jahre, immer weniger Beschäftigte von Betriebsräten vertreten. Und hier gibt es zudem noch eine extreme Differenz zwischen West und Ost. Diese Entwicklung lässt sich an der Reichweite von Tarifverträgen ablesen. Waren 1996 noch 66 % (West) und 48 % (Ost) der Beschäftigten in der Privatwirtschaft tarifgebunden, waren es 2019 nur noch 41 % (West) und 28 % (Ost).
Immer weniger Beschäftigte haben einen Betriebsrat
Bei den Betriebsräten muss man zwischen der Anzahl der Betriebe einerseits und der Anzahl der Beschäftigten andererseits unterscheiden. Von allen Betrieben, in denen rechtlich ein Betriebsrat möglich ist, hatten 1996 12 % (West) und 11 % (Ost) einen Betriebsrat. Dies veränderte sich über die Jahre so weit, dass 2019 nur noch jeweils 9 % der Betriebe in Ost und West einen Betriebsrat hatten.
Diese erschreckenden Zahlen relativieren sich aber durch die Anzahl der Beschäftigten, die einen Betriebsrat haben. Dies liest sich dann so: 1996 hatten 51 % (West) und 43 % (Ost) der Beschäftigten einen Betriebsrat. Der darauf folgende Rückgang war im Westen stärker als im Osten. 2019 waren noch 41 % (West) und 36 % (Ost) der Beschäftigten durch einen Betriebsrat vertreten.
Im selben Maße, wie Betriebe untergegangen sind, wurden neue gegründet
In vielen Klein- und Kleinstbetrieben hat es auch früher selten Betriebsräte gegeben. Die entscheidenden Veränderungen betreffen auch weniger die Kleinbetriebe, im Übrigen auch nicht die Großbetriebe mit eher stabilen Betriebsratsstrukturen, sondern eher mittlere Unternehmen mit zwischen 100 und 500 Beschäftigten.
Dies ist auch insofern von Bedeutung, als die Anzahl der Großbetriebe eher zugenommen, die Anzahl der Klein- und Kleinstbetriebe eher abgenommen hat. Insgesamt ist die Zahl der Betriebe auch in der Verteilung nach Größenklassen erstaunlich stabil. Angesichts der vielen Betriebsauslagerungen, Unternehmensspaltungen bzw. Outsourcing heißt dies nichts anderes als: Im selben Maße, wie Betriebe untergegangen sind, wurden neue gegründet.
Dies sind Entwicklungstendenzen quer über alle Branchen der Privatwirtschaft. Genauso wie beim Thema Tarifbindung gibt es hier enorme Unterschiede zwischen einzelnen Branchen und Branchentypen. Im Baugewerbe etwa gibt es vergleichsweise viele Betriebe ohne Betriebsrat, was gerade an dem hohen Anteil von Subunternehmen und von Handwerksbetrieben liegt. Dies wird abgefedert durch viele allgemeinverbindliche Tarifverträge, die auch für Unternehmen gelten, die nicht Mitglied eines Verbandes sind.
Gewerkschaften sind bei Betrieben mit Betriebsräten stark vertreten, jedenfalls durch Gewerkschaftsmitglieder in Betriebsräten. Der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder in Betriebsräten ist durchschnittlich meist doppelt so hoch wie der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder in den Belegschaften. Gleichzeitig ist der Frauenanteil unter den Betriebsratsmitgliedern gestiegen, wobei er immer geringer ist als der Frauenanteil in der Belegschaft. Befristet Beschäftigte sind so gut wie gar nicht vertreten – was wegen der unsicheren Beschäftigungssituation nachvollziehbar ist.
Oft eskalieren Konflikte in inhabergeführten Betrieben
Jenseits der Welt der Betriebe mit Betriebsrat wird vor allem das Thema Betriebsrat zum Zentralpunkt von Konflikten. Auch wenn gesetzliche Änderungen (2002) die Gründung von Betriebsräten in kleineren Betrieben erleichtert haben, sind die Angriffe auf Beschäftigte, die für die Gründung eines Betriebsrats eintreten, erheblich. Etwa jede sechste Betriebsratsgründung wird massiv vom Arbeitgeber bekämpft.
Dies ist in jedem Fall ein klarer Rechtsbruch. Dem Arbeitgeber ist es grundsätzlich untersagt, Betriebsratsarbeit zu behindern. Das gilt erst recht für die Gründung eines Betriebsrats. Beim Vorgehen gegen Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen wollen, sticht zweierlei hervor: Zum einen sind es meistens inhabergeführte Betriebe, in denen diese Auseinandersetzungen eskalieren. Zum anderen sind in hohem Maße Anwälte daran beteiligt, die sich geradezu qualifiziert haben für Betriebsratsverhinderung und damit für sich werben.
In Betrieben ohne Betriebsrat zu arbeiten, mag auf den ersten Blick kein Problem sein. Vieles verlagert sich dann entweder auf die Kommunikation mit den Vorgesetzten oder gleich mit dem Chef, sicherlich auch untereinander in der Belegschaft. Gerade in sich »postmodern« gebenden Unternehmen kultiviert man das als Alternative zum »Bürokratismus« der betrieblichen Mitbestimmung.
Erst dann – und genau das geschah 2000 mit dem massiven Zusammenbruch der New Economy in den New Media Betrieben – wenn Entlassungen oder sogar Betriebsschließungen anstehen, kommt die Quittung. Es gibt ohne Betriebsrat keinen Sozialplan und anders als gemeinhin angenommen, gibt es auch keinen einfachen gesetzlichen Anspruch auf Abfindung.
Betriebliche Mitbestimmung: Deutschland im EU-Vergleich
Betriebliche Mitbestimmungssysteme gibt es in fast allen EU-Ländern. Sie sind so unterschiedlich gestaltet, dass sie kaum vergleichbar sind. Entweder handelt es sich um betriebliche Gremien wie in Deutschland oder um Gewerkschaftsvertretungen im Betrieb oder um eine Kombination beider Säulen.
In Großbritannien etwa fehlt jedes Gremium, solange die Gewerkschaft nicht genügend Mitglieder vertritt; danach aber ist die Gewerkschaft der einzig verhandelnde »Sozialpartner«. In Frankreich wiederum gibt es Betriebsräte, in denen allerdings auch der Arbeitgeber vertreten ist; daneben jedoch betriebliche Komitees der Gewerkschaftsdelegierten. Auch die rechtlichen Grundlagen sind verschieden: teilweise regeln dies Gesetze, teilweise handelt es sich um Regelungen nach Tarifvertrag.
Es gibt EU-weit jedoch kein Gremium betrieblicher Mitbestimmung, das eine rechtlich so starke Position einnimmt wie die Betriebsräte in Deutschland. Das lässt sich an dem großen Umfang von Themen ablesen, bei denen der Betriebsrat nach dem deutschen Betriebsverfassungsgesetz nicht nur »Mitwirkungsrechte«, sondern »erzwingbare« Mitbestimmungsrechte hat. Das 1952 in Kraft getretene Betriebsverfassungsgesetz wurde von den DGB-Gewerkschaften abgelehnt, weil es nicht den Mitbestimmungsforderungen der Gewerkschaften entsprach.
Gleichzeitig führte die relativ starke rechtliche Position der Betriebsräte in der Bundesrepublik dazu, dass soziale Konflikte »im Betrieb« gehalten und ausgetragen werden konnten. Alle Erfahrung zeigt jedoch, dass eine enge Kooperation von Gewerkschaft und Betriebsrat auch rein einzelbetrieblich zu erheblich besseren Ergebnissen führt als dort, wo Betriebsräte alles im Alleingang versuchen.
Die Unterschiede betrieblicher Mitbestimmungssysteme in der EU werden in EU-weit aktiven Konzernen in der Bildung der Europäischen Betriebsräte erfahrbar. Diese Europäischen Betriebsräte haben allerdings lediglich Informations- und Beratungsrechte.
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