Vor 18 Jahren, am 27. Juni 2001, wurde Süleyman Taşköprü in seinem Lebensmittelladen in der Schützenstraße in Hamburg-Altona durch den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ermordet. Zwischen 1999 und 2010 verübte der NSU, soweit bisher bekannt, zehn Morde und drei Sprengstoffanschläge. Im Sommer 2018 ist nach fünf Jahren der Prozess gegen fünf Mitglieder und Unterstützer des NSU zu Ende gegangen – mit Verurteilung der Angeklagten zu teils hohen Haftstrafen. Aufklärung hat der Prozess jedoch nicht gebracht. Das liegt zum einen an der Ignoranz der Bundesanwaltschaft gegenüber dem Netzwerkcharakter des NSU. Vor allem aber daran, dass von Anfang an die Perspektive der Betroffenen und der Angehörigen der Opfer nicht wahrgenommen wurden. Zum Ende des Prozesses sagte Ayşe Yozgat, Mutter eines durch den NSU Ermordeten, dem Münchner Gericht: „Sie haben wie Bienen gearbeitet, aber keinen Honig produziert. Es gibt kein Ergebnis“.
Die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü gründete sich Ende 2017 mit der Vorhaben, die Taten des NSU, vor allem aber die Perspektiven der Betroffenen und Angehörigen und die Verantwortung von Gesellschaft in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie versteht sich als Teil der Kampagne „Kein Schlussstrich“ und hat im vergangenen Jahr verschiedene Veranstaltungen organisiert und begleitet, u. a. die Kundgebung und Demonstrationen in Hamburg um die Urteilsverkündung. Am 31. Januar zeigt sie in Kooperation mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg die NSU-Monologe der Bühne für Menschenrechte. Weitere Informationen zur Initiative finden sich unter www.aufklaerung-tatort-schuetzenstrasse.org.
Forderungen für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü
(...) Nach Bekanntwerden des NSU im November 2011 sprach der Hamburger Innensenator Michael Neumann im Mai 2012 von der Notwendigkeit einer „rückhaltlosen Aufklärung“ des Mordes an Süleyman Taşköprü. Doch mehr als für andere Bundesländer gilt 2018 für Hamburg: Bisher blieb der NSU-Komplex – die Beteiligung des Verfassungsschutzes, die Mittäterschaft lokaler Neonazis, die Leugnung eines rassistischen Hintergrundes des Mordes durch Polizei und Staatsanwaltschaft und ihre rassistische Ermittlungspraxis – im Zusammenhang mit dem Mord an Süleyman Taşköprü unaufgeklärt. Die wichtigsten Fragen sind unbeantwortet:
- Wie und von wem wurde Süleyman Taşköprü als Mordopfer ausgewählt?
- Welche Rolle und Aufgabe hatte die Hamburger Neonazi-Szene im NSU-Komplex und beim Mord an Süleyman Taşköprü?
- Warum unterließen Polizei und Staatsanwaltschaft bis 2011 die Verfolgung eines rassistischen Tatmotivs?
- Welche geheimdienstlichen Ermittlungen unternahm das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz mit welchen Ergebnissen in Bezug auf den NSU und die Hamburger Neonaziszene?
Gemeinsam mit den Angehörigen Süleyman Taşköprüs fordern wir die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Hamburg.
- Der Untersuchungsausschuss muss eine ernsthafte und umfassende Antwort geben auf die Frage nach den Hintergründen der Ermordung Süleyman Taşköprüs, insbesondere zur Beteiligung Hamburger Neonazis.
- Der Untersuchungsausschuss muss Einsicht erhalten in alle die Hamburger Neonazi-Szene betreffenden Akten des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz.
- Der Untersuchungsausschuss muss den institutionellen Rassismus in Polizei und Staatsanwaltschaft sichtbar machen und kritisch einordnen, der verantwortlich ist für die Verdächtigung des Opfers und seiner Familie wie für die Nichtverfolgung eines rassistischen Tatmotivs.
Wir fordern, dass sich der Senat der Hansestadt Hamburg bei der Familie Süleyman Taşköprüs für die auf rassistischen Stereotypen basierenden Verdächtigungen und Ermittlungen und für die Missachtung ihrer Aussagen entschuldigt sowie sie angemessen entschädigt.
Wir fordern, dass zukünftig
- Polizei und Staatsanwaltschaft in Fällen von Gewalt gegen Migrant*innen und People of Color einen rassistischen Hintergrund in Betracht ziehen müssen, bis das Gegenteil bewiesen ist. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen bei der Aufklärung durch zuständige staatliche Institutionen, die in Teilen eher vertuschend als aufklärend agiert haben, bleiben wir staatlichen Untersuchungen gegenüber misstrauisch.
Wir fordern
- zusätzlich zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses eine unabhängige Untersuchungskommission mit umfassenden Befugnissen. Die Berufung dieser Kommission muss unter Beteiligung der Familie Süleyman Taşköprüs erfolgen.
- dass Zivilgesellschaft, Medien und Öffentlichkeit in Fällen von Gewalt gegen Migrant*innen und People of Color misstrauisch bleiben gegenüber beschwichtigenden, verharmlosenden und ein rassistisches/neonazistisches Tatmotiv verleugnenden Einschätzungen von Polizei und Staatsanwaltschaft und ihrerseits weiterführende Untersuchungen betreiben.
Ziel der politischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung des NSU-Komplexes in Hamburg muss es sein, dass staatlicher und gesellschaftlicher Rassismus als ein bestehendes Verhältnis verstanden wird, das, um seine gewaltvollen Folgen zu verhindern, eine andauernde kritische Auseinandersetzung notwendig macht. Eine unabdingbare Form der kritischen Auseinandersetzung mit Rassismus ist die Erinnerung an in der Stadt verübte rassistische Gewalttaten und ihre Opfer.
Wir fordern ein Gedenken und Erinnern in Hamburg, dessen Kern die Wünsche und Bedürfnisse der Angehörigen und Opfer rassistischer Gewalttaten bilden.
Familie Taşköprü
Initiative für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü
Foto: www.aufklaerung-tatort-schuetzenstrasse.org/2018/07/14/pressemitteilung-...