45 Jahre ist es her; da wurde der jungen Demokratie der BRD schwerer Schaden zugefügt. Im Januar 1972 beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz mit der Unterzeichnung von Willy Brandt den sogenannten Radikalenerlass. Zur Abwehr angeblicher Verfassungsfeinde sollten „Personen, die nicht die Gewähr bieten; jederzeit für die freiheitlich- demokratische Grundordnung einzutreten“, aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten bzw. entlassen werden.
Formell richtete sich der Erlass gegen „Links- und Rechtsextremisten“, aber tatsächlich traf er vor allem Linke: Mitglieder der DKP und anderer sozialistischer und linker Gruppen bis hin zu Friedensinitiativen und SPD-nahen Studentenorganisationen.
Vorreiter ist Hamburg gewesen, mit einem entsprechenden Erlass des damaligen SPD-Senats am 23. November 1971!
Rund 3,5 Millionen Bewerber_ innen wurden bundesweit mit tatkräftiger Unterstützung des Verfassungsschutzes über die Regelanfrage von den Einstellungsbehörden auf ihre „politische Zuverlässigkeit“ durchleuchtet.
Man warf den Betroffenen legale politische Aktivitäten vor, wie Teilnahme an Demonstrationen, Unterzeichnen politischer Erklärungen oder Kandidatur bei Wahlen.
In Folge erhielten Tausende Berufsverbot oder sogar Ausbildungsverbot: Lehrer_innen, Sozialarbeiter_ innen, Briefträger, Lokführer, Menschen aus dem Bereich Rechtspflege. Bis 1978 listete die Vorstandskommission Berufsverbote der GEW-Hamburg unter dem Vorsitz von Peter Daschner 106 Hamburger Fälle auf.
Die Ausübung von Grundrechten wie Meinungs-, Organisations- und Versammlungsfreiheit war bedroht und wurde bestraft.
Die Hexenjagd auf „Radikale“ vergiftete das politische Klima. Aber es entwickelte sich auch schnell eine breite Protestbewegung, begleitet von großer internationaler Solidarität. Das Wort „Berufsverbot“ hat in die Sprachen anderer europäischer Länder Eingang gefunden.
Im Laufe der 1980ger bis Anfang der 90ger wurden nach zum Teil jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen die meisten Verbotsfälle eingestellt. Aber nicht im Zuge einer politischen Aufarbeitung, sondern im Rahmen eines Vergleichs.
Leider sind auch die Gewerkschaften in die Berufsverbotepraxis verstrickt gewesen. Mit den Unvereinbarkeitsbeschlüssen von 1973 haben sie intern Gesinnungsschnüffelei betrieben. Nicht selten folgte für Mitglieder nach einem Gewerkschaftsausschluss das Berufsverbot.
Die GEW hat den Unvereinbarkeitsbeschluss aus ihrer Satzung gestrichen und sich bei den Betroffenen entschuldigt. Sie fordert seit Jahren und aktuell wieder ein Eingeständnis der Politik, dass der Radikalenerlass ein schwerer Fehler war; sie verlangt eine offizielle Entschuldigung bei den Betroffenen und deren umfassende politische und materielle Rehabilitierung.
Bisher hat nur Niedersachsen damit begonnen. Der Landtag stellte im Dezember 2016 fest, dass der Radikalenerlass ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte Niedersachsen darstellt und das Geschehene ausdrücklich bedauert wird. Er sprach den Betroffenen Respekt und Anerkennung aus. Es wurde eine Landtagsbeauftragte für die Aufarbeitung der Schicksale der vom Berufsverbot Betroffenen ernannt. Sie soll auch Möglichkeiten der politischen und gesellschaftlichen Rehabilitierung prüfen.
Und Hamburg? Fehlanzeige! Eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom Dezember 2013 an den SPD-Senat nach Rehabilitation der Hamburger Betroffenen beantwortete der Senat lapidar mit: „Damit hat sich der Senat nicht befasstt“!
Bis heute sind Gesinnungsschnüffelei und Berufsverbote nicht vom Tisch. So wird in Bayern bei allen Bewerber_innen für den öffentlichen Dienst die „Verfassungstreue“ überprüft. Und es gibt aktuelle Fallbeispiele: 2004 erhielt der Realschullehrer Michael Csaszkoczy in Hessen und Baden-Württemberg Berufsverbot und wurde erst 2007 in den Schuldienst übernommen. 2016 blockierte der Verfassungsschutz monatelang die Doktorandenstelle von Kerem Schamberger an der Uni München, weil er Mitglied der DKP ist.
45 Jahre Berufsverbote! Es ist an der Zeit, dass auch die GEW Hamburg dieses Thema wieder auf die Agenda setzt. Erinnerung - Aktualität aufzeigen – Rehabilitation einfordern! Darum geht es auf der Veranstaltung am 3. November, zu der ihr unter https://www.gew-hamburg.de/themen/aktionen-und-kampagnen/niemand-redet-mehr-von-berufsverboten-wir-schon weitere Infos findet.
Jutta Martens-Hinzelin, Ilona Wilhelm
Foto: Kay Herschelmann / Gewerkschaftstag in Freiburg i.B.