Unter diesem Motto diskutierten über 100 Teilnehmer*innen und zahlreiche Gäste aus der Migrations- und Gewerkschaftsbewegung vom Nachmittag bis in den Abend im Rahmen von Vorträgen und einem Podium über die aktuelle Lage der Migrationspolitik sowie über die Perspektiven. Die Veranstaltung konnte einen wichtigen Beitrag zu den Diskussionen rund um das Thema Migration leisten.
Eröffnet wurde die Konferenz mit der Begrüßungsrede von Deniz Çelik im Namen des Vorstands der DIDF-Hamburg (DIDF-Föderation Demokratischer Arbeitervereine). Çelik betonte den zentralen politischen Widerspruch in Deutschland beim Thema Migration: „Einerseits wächst der Bedarf an migrantischen Arbeitskräften, andererseits verstärken sich Bestrebungen, Migration einzuschränken. Dieses Spannungsverhältnis prägt nicht nur die Arbeitswelt, sondern hat auch weitreichende Auswirkungen auf das Zusammenleben der migrantischen und nicht migrantischen Bevölkerung. „Die rechten Kräfte, die in ganz Europa erstarken, werden solche Widersprüche nicht lösen, sondern verschärfen,“ so Çelik.
Nach der Begrüßung folgte ein Film der DIDF zum fünfzigjährigen Anwerbeabkommen türkeistämmiger Arbeiter*innen nach Deutschland. Kulturell wurde die Konferenz mit musikalischen Beiträgen zum Thema Migration begleitet.
Den ersten Vortrag zum Thema „Gleichberechtigte Teilhabe in Einwanderungsgesellschaften – Herausforderungen und Gelingensbedingungen“ hielt Prof. Dr. Helen Baykara-Krumme, Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Migration und Teilhabe von der Uni Duisburg-Essen. Frau Baykara-Krumme berichtete aus dem „Atlas der Migration“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem „Weltungleichheitsbericht“. Sie stellte fest, dass Migration schon immer Teil der Menschheitsgeschichte war und räumte mit Mythen rund um das Thema Migration auf. Zu den Gelingensbedingungen hob sie hervor, dass diese abhängig seien von vielen Faktoren, wie den ökonomischen Bedingungen der migrierenden Person, aber auch der Aufnahmebereitschaft des Aufnahmelandes. Integration müsse durch Teilhabe ersetzt werden, das bedeute Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen und Mitgestaltung. Die Mitwirkungsmöglichkeiten hingen von den rechtlichen und faktischen Bedingungen der Aufnahmeländer ab. Dabei sei es wichtig, wie offen eine Gesellschaft sei. In diesem Zusammenhang skizzierte sie die benachteiligte Situation vieler Migrant*innen: prekäre Arbeitsverhältnisse, Niedriglöhne, höhere Arbeitslosigkeits- und Armutsquote, befristete Beschäftigungsverhältnisse, mehr Schichtarbeit. Das müsse sich ändern. Wichtig sei Chancengleichheit, Anerkennung der mitgebrachten Abschlüsse, rechtliche Gleichstellung, Wahlrecht und Anerkennung der Arbeitsleistung der Migrant*innen für die Gesellschaft.
Der zweite Vortrag von Düzgün Altun aus der Geschäftsführung der DIDF beschäftigte sich mit dem Thema „Auswirkungen nationalistischer und rechtspopulistischer Politik auf soziale Ungleichheit, Arbeitsbedingungen und das gemeinsame Zusammenleben“. Die multiplen Krisen der letzten zehn Jahre haben deutliche Spuren hinterlassen, nationalistische und reaktionäre Kräfte haben die Unzufriedenheit und Unsicherheit der Menschen ausgenutzt, so Altun. Zur Rolle der Gewerkschaften sagte Altun, dass es nicht ausreiche, wenn diese nur eine „klare Haltung“ gegen die AfD einnehmen. Es müsse gelingen, die demagogischen Parolen der Rechten, die Angriffe der Arbeitgeber und die verlogenen Positionen der Politik – etwa zur Migrationspolitik, die vor allem auf die Bereitstellung billiger Arbeitskräfte abzielt – immer mehr aufzudecken.
Besonders wichtig sei es, die Kämpfe und den Zusammenhalt der Arbeiter*innen zu organisieren. Schließlich sei bekannt, dass über 30 % der AfD-Wähler Arbeiter*innen sind und in den Betrieben organisiert werden könnten. „Dieser Demagogie kann man nicht allein mit Parolen, wie „Wir sind bunt“, entgegentreten. Seit über 60 Jahren wird über Integration gesprochen, während in Wahrheit Ausgrenzung praktiziert wird – ein Widerspruch, der die gesellschaftliche Realität in Deutschland prägt. Unter solchen Bedingungen haben es rechtspopulistische Kräfte leicht. Die Regierungen haben lange ignoriert, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und sich geweigert, den Rahmen für ein gleichberechtigtes Zusammenleben zu schaffen. Die letzten 60 Jahre haben sowohl Rückschläge als auch Fortschritte gebracht. Es liegt nun an uns, wachsam zu bleiben, aktiv zu werden und positive Beispiele auszubauen. Wir können die Herausforderungen überwinden und eine solidarische, gerechte und lebenswerte Gesellschaft für alle schaffen.“, so Altun.
Romin Khan, stellvertretender Vorsitzender der „Gelben Hand“ für ver.di, betonte die Wichtigkeit des Zusammenhalts und der Solidarität. „Wir lassen nicht zu, dass der Kampf für soziale Verbesserungen und der Kampf gegen Rassismus gegeneinander ausgespielt werden. Wer weniger Rechte hat, wer Angst um seinen Aufenthalt hat, der kann auch leichter von den Arbeitgebern ausgebeutet und erpresst werden. Lohndumping schadet allen Beschäftigten, gleiche Rechte und Standards wie ein ordentlicher Mindestlohn helfen dagegen allen Arbeitnehmer*innen, egal woher sie kommen!“, so Khan. Die Proteste Anfang des Jahres beschrieb er als „unbeschreibbar wichtig“ und es sei besonders ermutigend, dass nicht nur in den großen Städten, sondern gerade auch in kleinen Kommunen in Ostdeutschland protestiert wurde.
Am Abschlusspodium nahmen teil: Kay Jäger, Betriebsrat im Gesamthafenbetrieb; Yusuf As, ver.di Bundesmigrationsausschuss; Karin Haas, LAMBDA der GEW Hamburg (Landesausschuss für Migration, Bleiberecht, Diversität und Antirassismus) und Massimo Perinelli, Referent für Migration bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Kay Jäger kritisierte die jahrzehntelange Stellvertreterpolitik der Gewerkschaften und Betriebsräte im Hafen als lähmenden Faktor im gemeinsamen Arbeitskampf. „Arbeitskämpfe sind Momente des Zusammenstehens und des Kämpfens für ein gemeinsames Interesse, das stärker ist als die Spaltung durch Nationalismus oder Rassismus. Das wurde auch in unserem Streiksommer 2022 besonders deutlich, als wir mit all unseren Kollegen und Kolleginnen aus allen Hafenfirmen zuerst die wichtigste Verkehrsader im Hafen blockierten und darauf folgend immer wieder große und kraftvolle Streikaktionen und Demonstrationen veranstaltet haben, bei denen auch Arbeiter*innen aus anderen Bereichen ihre Solidarität gezeigt haben, unter anderem auch die DIDF und der IJV.“
Auf den Widerspruch, dass auf einer Seite das Asylrecht eingeschränkt wird und auf der anderen Seite Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben werden, entgegnete Yusuf As, dass das Recht auf Asyl und der Fachkräftemangel und ihr Anwerben zwei verschiedene Dinge seien. „Das Recht auf Asyl darf nicht eingeschränkt werden. Es gibt unterschiedliche Gründe für Flucht und Asyl. Und in den meisten Fällen sind Länder wie Deutschland ökonomisch, militärisch oder politisch daran beteiligt. Sei es, dass wir mit der EU durch Handelsabkommen ökonomisch andere Länder ruinieren oder dass wir gerade in Palästina und Syrien Mittäter sind, in dem wir Waffen nach Israel und die Türkei liefern. Wir brauchen uns dann da nicht zu wundern, dass Menschen fliehen, und diese Menschen brauchen ein Recht auf Asyl. Auf der anderen Seite haben wir ein anderes hausgemachtes Problem. Das Problem mit den notwendigen Fachkräften.“, so As. Er erklärte, dass es zwar über 3 Millionen Arbeitslose in Deutschland gäbe, man diesen jedoch keine guten Arbeitsbedingungen und faire Löhne zahlen wolle. „Daran will das Kapital nichts ändern und hier kommen die Migrant*innen und Fachkräfte vom Ausland ins Spiel. Sie sollen im Niedriglohnsektor und in prekären Verhältnissen arbeiten.“, fügte As hinzu. Viele von ihnen seien neu hier und wollen nicht unbedingt in eine Konfrontation mit dem Arbeitgeber. „Die, die es wollen müssen wir erreichen und organisieren.“
Zur Frage, welche Rolle Gewerkschaften und die Organisierung der Lehrkräfte in den Kämpfen der Schüler für Bleiberecht und ihre demokratischen Rechte spielen können, sagte Karin Haas, dass die GEW eine Anlaufstelle für den Protest gegen Abschiebungen sein könne. Als der Schüler Joel im Juni 2024 kurz vor dem Abi abgeschoben werden sollte, weil sich die Gesetzeslage verändert hatte, wurden Kolleg*innen und Schüler*innen selbst aktiv, sammelten Unterschriften, nutzten die Presse und die sozialen Medien und eröffneten eine Petitionsplattform. Der GEW-Vorsitzende und der LAMBDA unterstützten diese Aktivitäten über ihre Infokanäle und schrieben einen Brief an die Härtefallkommission. Denn das Recht auf Bildung und Ausbildung darf nicht beschnitten werden. Durch den breiten Protest konnte eine Abschiebung verhindert werden.
„Wichtig ist, dass die Kolleg*innen Kenntnis über Aufenthaltsgesetze und die Rahmenbedingungen haben und in gutem Kontakt mit den migrantischen Schüler*innen und Eltern stehen. Wir hatten von der GEW eine Zeitlang zusammen mit dem Flüchtlingsrat Beratungsveranstaltungen für die Kolleg*innen angeboten, denn das Wissen um die Situation der Migrant*innen in unserer Einwanderungsgesellschaft ist sehr wichtig, zumal jede zweite Schüler*in eine Einwanderungsgeschichte hat“, so Haas.
Außerdem setzt sich die GEW für die Erleichterung der Anerkennung von Abschlüssen und gleiche Bezahlung und Arbeitsbedingungen für migrierte Lehrkräfte ein.
Gerade in Zeiten, in denen Krieg und Aufrüstung in Deutschland ein neues Tempo annehmen und Migrant*innen als Ursache sozialer Probleme dargestellt werden, hat die Konferenz in der Frage Migration wichtige Diskussionen und Probleme aufgezeigt. Gleichzeitig konnte ein sehr positives Signal gesendet werden, indem alle Sprecher*innen sowie die Veranstalter betonten, wie wichtig es sei, das gemeinsame Zusammenleben zu stärken und sich nicht spalten zu lassen.
Der Bericht wurde von Vertreter*innen von DIDF und Karin Haas erstellt.
Bild: Podiumsteilnehmer*innen von links nach rechts: Moderation:Thoya Kruse, DIDF; Massimo Perinelli, Referent für Migration bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung; Karin Haas, LAMBDA GEW Hamburg; Yusuf As, Ver.di Bundesmigrationsausschuss; Kay Jäger, Betriebsrat im Gesamthafenbetrieb