Die AfD wird immer radikaler – und immer erfolgreicher. Der Buchautor Hendrik Cremer sagt im E&W-Interview, das liege auch an einer zu vorsichtigen Thematisierung der Partei in der Bildung und in den Medien.
Interview: Christoph Ruf, freier Journalist, für die GEW Bund / E&W
E&W: Herr Cremer, nach der Brandenburg-Wahl herrschte bei manchen Menschen fast schon Erleichterung, weil die SPD stärkste Partei wurde. Mit 30-Prozent-Ergebnissen für die AfD scheint man sich allmählich zu arrangieren ...?
Hendrik Cremer: Es wäre fatal, wenn wir uns daran gewöhnen, dass die Ergebnisse dieser Partei immer besser werden, obwohl sie sich stetig radikalisiert hat.
E&W: In Brandenburg, Thüringen und Sachsen war die AfD bei den Menschen, die jünger als 25 Jahre sind, die mit Abstand stärkste Partei. Was tun?
Cremer: Die AfD muss in den Schulen stärker als rechtsextreme Partei thematisiert werden. Ich habe aber den Eindruck, dass bei den Lehrkräften wegen des Neutralitätsgebots, mit dem die AfD argumentiert, eine große Unsicherheit herrscht. Dabei müssen Lehrerinnen und Lehrer nicht neutral sein. Das Grundgesetz und die Landesschulgesetze verpflichten sie, sich aktiv für die freiheitliche rechtsstaatliche Demokratie einzusetzen. Sie sollen sich sachlich und fundiert mit Parteien beschäftigen. Aus dem Bildungsauftrag ergibt sich, dass verfassungsfeindliche Parteien als solche zu thematisieren sind. Das geht in vielen Fächern. Über die AfD aufzuklären, ist keine Aufgabe, die allein einzelnen Lehrkräften obliegt, sondern eine Herausforderung für das ganze System Schule. Schulleitungen, Schulämter und Bildungsministerien müssen Lehrkräfte zudem schützen, wenn diese von der AfD und deren Umfeld bedroht werden.
E&W: Social Media und mangelndes Wissen treiben die Jugendlichen also nach rechts?
Cremer: Klar ist: Die AfD agiert massiv auf Social Media. Insbesondere auf TikTok zielt sie darauf ab, junge Menschen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dies untermauert die Dringlichkeit, dass Schulen reagieren und thematisieren, welche Absichten und Ziele die AfD tatsächlich verfolgt.
E&W: Sie sagen, die AfD verfolge unter Führung des Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke „das Ziel einer Gewaltherrschaft, die sich am Nationalsozialismus orientiert“ und prognostizieren, dass „niemand mehr in diesem Land sicher“ wäre, wenn die AfD an die Macht käme. Mit Verlaub: Das klingt sehr dramatisch.
Cremer: So wie Sie reagieren viele Menschen. Das ist kaum verwunderlich, zumal auch in den Medien häufig nicht abgebildet wird, wie stark sich die Partei radikalisiert hat. Die AfD orientiert sich in Zielen und Methoden am Nationalsozialismus. Gegen Höcke hat es noch 2017 ein Partei-Ausschlussverfahren gegeben, bei dem er dezidiert als Nationalsozialist eingeordnet wurde. Dennoch wurde er nicht ausgeschlossen. Heute wird sein Kurs nicht mehr ernsthaft infrage gestellt. Er erhält vielmehr die volle Unterstützung des Bundesvorstandes.
E&W: Nach außen geriert sich die AfD allerdings als rechts-bürgerliche Alternative. Das sei, sagen Sie, auch deshalb erfolgreich, weil diese Selbstzuschreibung zu oft unwidersprochen bleibe.
Cremer: Ein wesentliches Element in der Strategie der AfD ist, dass sie sich selbst verharmlost. Hierzu gehört ein freundliches, bürgerliches Auftreten; sie stellt sich, insbesondere auf der lokalen Ebene, als Kümmerer-Partei dar. Es wird zu selten herausgearbeitet, welche Ziele die Partei wirklich verfolgt; ihre Gewaltbereitschaft wird nicht hinreichend thematisiert. Dabei ist längst zu erkennen, dass der eingeschlagene Kurs der AfD auf Willkür und Gewalt hinausläuft.
E&W: Viele Journalistinnen und Journalisten bezeichnen die Partei als „in Teilen rechtsextrem“ oder verweisen auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Doch diese Qualifizierung hat bei den jüngsten drei Landtagswahlen jeden dritten Wähler nicht davon abgehalten, die AfD zu wählen. Ist damit der Ansatz gescheitert, auf-zuklären, damit den Menschen bewusst wird, wen sie da wählen?
Cremer: Im Gegenteil. Die Aufklärungsarbeit ist zu intensivieren. Das gilt für die Schule, die außerschulische Bildung und letztlich für sämtliche Bildungsinstitutionen, etwa auch der Polizei und Bundeswehr, damit die Menschen wissen, was sie tun, wenn sie diese Partei wählen.
E&W: Derzeit hat die Deutungsweise Konjunktur, die behauptet, die AfD sei vor allem deshalb so stark geworden, weil sowohl die Ampel als auch die Vorgängerregierungen reale Probleme ignoriert und tabuisiert hätten.
Cremer: Es ist besorgniserregend, dass es unter demokratischen Parteien zu solchen gegenseitigen Schuldzuweisungen kommt. Denn damit wird die Selbststilisierung der AfD als Protestpartei befördert. Auch das trägt zur Verharmlosung der Partei bei.