Rezension: On the Come Up von

08. September 2020 Von: C.Jantzen Gruppenbeitrag

Angie Thomas:

On the Come Up

Aus dem Amerikanischen von Henriette Zeltner

ISBN: 978-3-570-16548-5

18,00 €, 464 Seiten

cbj München 2019

Das Buch wurde im Februar 2020 mit dem LesePeter Jugenbuch ausgezeichnet (www.lesepeter.de).

In einem Brief wendet sich Angie Thomas direkt an ihre Leser*innen und schreibt: „Dieser Roman ist auch ein Liebesbrief an den Hip-Hop. Als ich mich selbst in Büchern nicht wiederfinden konnte, gelang es mir in den Reimen der MCs (Master of ceremonies). MCs, die aussahen wie ich und die gleichen Erfahrungen gemacht hatten. Diese unkonventionellen Dichter waren meine Helden – und sind es für Millionen junger Leute.“

In ihrem zweiten Jugendroman nach „The hate U give" erschafft Angie Thomas in „On the come up“ nun die Figur Bri, die für Millionen junger Leute eine Heldin sein kann und sein sollte. Aber nicht nur für Jugendliche, die alltäglich die Diskriminierung Schwarzer in den USA erleben müssen, sondern für alle! Denn auch jugendliche Leser*innen weitab der amerikanischen Hood blicken mit diesem Roman einerseits in die fremde Welt des fiktiven Ghettos Garden Heights und des Hip-Hop und können sich doch zugleich im Buch selbst erkennen. Das ist große Literatur!
Wie schon in ihrem Debütroman wird die Handlung durch eine Schlüsselszene ausgelöst: Obwohl der Metalldetektor an der Eingangskontrolle ihrer Schule nicht gepiept hat, wollen die zwei Wachleute den Rucksack von Brianna Jackson kontrollieren:
„Er greift nach dem Träger meines Rucksacks, aber ich ziehe ihn schnell weg. Als ich den Blick in seinen Augen sehe, wird mir sofort klar, dass ich das nicht hätte tun sollen. Er packt meinen Arm. ,Her mit dem Rucksack!‘ Ich reiße mich los. ,Fassen Sie mich nicht an!‘ Dann passiert alles blitzschnell. Er packt mich wieder am Arm und dreht ihn mir auf den Rücken. Den anderen auch. Ich versuche, beide Arme wegzuziehen und mich loszureißen, doch da wird sein Griff fester. Bevor ich weiß, wie mir geschieht, knalle ich mit dem Oberkörper hin, dann wird mein Gesicht gegen den kalten Boden gedrückt. Long kniet auf meinem Rücken, während Tate mir den Rucksack wegreißt.“
Der Anlass für die Gewalt ist ihre Hautfarbe. Jeder an der Schule weiß, dass Long und Tate farbige Schüler*innen besonders gerne kontrollieren und schikanieren.
Es ist ein erklärtes Anliegen von Angie Thomas, auf die Ungerechtigkeit in der US-amerikanischen Gesellschaft hinzuweisen. In „The hate U give", so schreibt Thomas, habe sie jungen Menschen ein Stimme geben wollen. Mit ihrem zweiten Roman wolle sie dazu motivieren, „sich auch dann Gehör zu verschaffen, wenn es der Gesellschaft nicht gefällt, wie sie es tun. Meinungsfreiheit gilt nicht immer und überall. Vor allem, wenn man in den USA jung ist und schwarz.“ (Angie Thomas)
Bri verschafft sich in ihrem Rap-Songs gehör. Gerade hat sie ihr erstes Battle mit einem eigenen Song gewonnen, in dem sie die Erlebnisse an der Eingangskontrolle verarbeitet. Allerdings gerät sie damit in eine gefährliche innere und äußere Zerreißprobe: In ironisierender Absicht nimmt sie die ‚weißen‘ Vorurteile gegen junge Schwarze auf, rappt über Gewalt, Straßengangs und schürt dadurch Angst.
Während ihre Mitschüler*innen sie zur Symbolfigur ihres Protests gegen Ungleichbehandlung an der Schule machen wollen, wünscht Bri sich nichts sehnlicher, als ihre Familie durch das Rappen vor dem sozialen Absturz zu bewahren, der unmittelbar bevorsteht: Ihre Mutter hat ihren Job verloren, ihr Bruder findet trotz guter Abschlüsse keine Arbeit und die unbezahlten Rechnungen türmen sich. Bri ist aber nicht irgendwer, sondern die Tochter der Rap-Legende Lawless, die in einer Auseinandersetzung zwischen Gangs ums Leben kam, als Bri gerade vier Jahre alt war. Damals hat der Tod ihre Mutter in die Drogensucht getrieben und heute bringt Bri die Gangs, die ihren Song als Drohung verstehen, gegen sich auf. Bri ist wütend, Bri ist traurig, Bri ist allein. Aber Bri hat einen Traum, den sie zu leben versucht. Egal, was andere von ihr wollen oder über sie denken. Darin liegt die Wucht dieses Romans.
Angie Thomas bezeichnet ihren Roman als einen Liebesbrief an alle schwarzen Mädchen, die das Gefühl haben, in einer Welt zu leben, die völlig falsche Vorstellungen von ihnen hat. Aber darüber hinaus ist er ein Liebesbrief an alle Jugendlichen und ein Aufruf, eine Stimme zu finden und „Krach zu schlagen.“ (Angie Thomas)
Dass Angie Thomas von Dingen erzählt, die sie so oder in ähnlicher Weise selbst erlebt hat, spürt man in der „Street Credebility“, die aus jeder Zeile spricht. Mit beeindruckender Genauigkeit skizziert Angie Thomas die kleinen Szenen des alltäglichen Rassismus`.
Konsequent sind die Dialoge im Ghetto-Slang verfasst. Sehr hilfreich ist das Glossar, das jenen Leser*innen zum Verstehen verhilft, für die „bish“, „dappen“, „hoodlum“, „swaggen“ oder „ratchet“ keine geläufigen Worte sind.
„On the come up“ ist ein Coming-of-Age-Roman mit Musik. Darum ist es zu empfehlen bei der Lektüre 2Pac, Queen Latifah, Lauryn Hill, Lil`Kim und die vielen anderen Stimmen zu hören, die die ästhetischen-akustische Dimension erst ganz zu entfalten vermögen. (Spotify stellt eine entsprechende Playlist zur Verfügung: „Rap along the tracks that inspired Angie Thomas´new book“.)
Jochen Heins, AJuM Hamburg

Die Rezension entand in der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien in der GEW. Intresse an der Arbeit der AJuM Hamburg? -> https://www.gew-hamburg.de/mitmachen/arbeitsgruppen/ajum-jugendliteratur-und-medien