Rezension: Liebe Schwester. Briefe an meine kleine Nervensäge

09. Februar 2021 Von: C.Jantzen Gruppenbeitrag

Alison McGhee

Liebe Schwester.

Briefe an meine kleine Nervensäge

Aus dem Amerikanischen von Kathrin Köller

Illustrationen: Joe Bluhm

ISBN: 978-3-95728-358-0

14,- €, 192 Seiten

Knesebeck Verlag

 

Eine in zahlreichen ebenso liebevollen wie lustigen Briefen, Notizen und Zeichnungen verfasste wunderbar feinfühlige und humorvolle Hommage an eine sich entwickelnde Geschwisterliebe.

Beurteilungstext: Eine kleine Schwester kommt auf die Welt, eine Unbekannte, ein Störenfried eine Rivalin und doch besteht für den achtjährigen Bruder von Anfang an eine Ahnung, dass er die kleine Nervensäge liebgewinnen wird. An Hand von humorvollen, witzigen, liebevollen und auch bedrückenden Erfahrungen und Erlebnissen aus dem Geschwisteralltag werden eindrucksvoll die widerstreitenden Gefühle von Zuneigung und Ablehnung, Nähe und Abgrenzung vermittelt. Die verantwortungsvolle Rolle des großen Bruders und der sehr viel jüngeren ihn anhimmelnden Schwester, das Zusammenwachsen und zunehmend auf Reife und Gegenseitigkeit beruhende Verständnis und Vertrauen werden auf eine erstaunlich zarte, berührende Weise dargestellt und dennoch herzerfrischend lebendig aus dem Leben gegriffen. „Immer und immer wieder und wieder und wieder...“ muss der Bruder dasselbe Buch vorlesen, aber nur der kleinen Schwester wird erlaubt, keine weißen Bohnen zu essen, wie unfair. Zum Glück bleibt ihm sein Baumhaus als Rückzugsort. Beim Übergang zum Erwachsenwerden besteht schließlich eine tiefe und innige Bindung und der von der Schwester so gefürchtete Auszug des Bruders aus dem Elternhaus wird von ihm liebevoll tröstlich überbrückt.

All das ist in chronologischer Abfolge über zehn Jahre in ganz verschieden gestalteten Briefen des großen Bruders an die kleine Schwester festgehalten. Viele Briefe werden durch ein lustiges PS und PPS ergänzt und als Ausdruck wachsender Bruderliebe sogar mit „dein dich liebender Bruder! Manchmal jedenfalls“ unterzeichnet. Hinzu kommen kleine überall verteilte und angeheftete Zettelchen mit Notizen, Botschaften und Zeichnungen. In den ersten Jahren stellt der Bruder seiner kleinen Schwester Zeugnisse aus, sie bessert sich, aber manches ändert sich nie. Humorvoll als „Wärter“ bezeichnet, bleiben die Eltern im Hintergrund, greifen aber ein, wenn sie es für nötig halten. Den Geschwistern werden keine Namen gegeben. Durch diese Verallgemeinerung kann sich jeder leicht identifizieren und trotzdem bleiben die Briefe sehr intim und persönlich.

Den Text begleitend und mit ihm verwoben sind die vielfältigen Illustrationen voller Ideen und kindlicher Phantasie mit unzähligen witzigen und beziehungsreichen Details. Die naturalistischen und comicartigen Zeichnungen mit kindlichen Vereinfachungen sind ihrerseits ausdrucks- und inhaltsstark. Neben Bleistiftzeichnungen werden als Hintergrund und für Buntstiftzeichnungen verschiedene Blautöne verwendet. Die Druckschrift wirkt passend zu den Kinderbriefen wie mit einem Bleistift handgeschrieben.

Die Erfahrung einer nicht selbstverständlichen Geschwisterliebe im besten Sinne wird sehr eindrucksvoll vermittelt. Durch die emotionale Tiefe verbunden mit dem ganz besonderen Humor entfaltet dieses sehr empfehlenswerte Buch eine intensive Wirkung auf Kinder mit und auf andere Art auch auf Kinder ohne Geschwister. Für Erwachsene insbesondere mit eigenem Geschwisterglück ist das Buch ein Lesevergnügen zum Schmunzeln und für dankbare Erinnerungen.

Das Buch wurde im August 2020 von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet als Kinderbuch des Monats.

Anmerkungen: Alison McGhee ist Pulitzer-Preisträgerin sowie New York Times- Bestsellerautorin und Joe Bluhm preisgekrönter Illustrator, Designer und Karikaturist. 

Susanne Matthaei-Wieland

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