Bündnis zukunftsfähige Schulen: Positionspapier zum Bürgeschaftswahlkampf 2025
„Hamburg braucht zukunftsfähige Schulen“
Der nationale Bildungsbericht 2024 zeigt, vor welchen Herausforderungen auch das Hamburger Bildungssystem steht: Die Bevölkerung wächst stetig u.a. aufgrund fluchtbedingter Zuwanderung. Das bedeutet, dass auf absehbare Zeit mehr Kinder mit vielfältigen kulturellen Hintergründen unsere Schulen besuchen werden. Zugleich ist die Bildungsgerechtigkeit noch immer nicht gegeben: Der Anteil der Akademiker:innenkinder mit Hochschulabschluss im Erwachsenenalter ist mit 56 % mehr als dreimal so hoch wie bei Kindern von Nichtakademiker:innen. Die Abhängigkeit des Bildungserfolgs der Kinder und Jugendlichen von ihrem sozioökonomischen Hintergrund hat sich laut der aktuellen PISA-Studie erneut vergrößert. Ferner fehlen Pädagoginnen und Pädagogen an den Schulen, so dass die Gewinnung von qualifiziertem Personal auf absehbare Zeit eine zentrale Herausforderung bleibt. Der produktive Umgang mit kultureller Diversität, die Steigerung der Chancengerechtigkeit in unserer Gesellschaft und die Gewinnung von Fachkräften sind also große Herausforderungen für die Entwicklung unserer Schulen.
Außerdem haben beispielsweise die jüngsten PISA-Ergebnisse von 2022 gravierende qualitative Mängel im deutschen Bildungssystem deutlich gemacht: Die Durchschnittsergebnisse in Mathematik, der Lesekompetenz und den Naturwissenschaften erreichten die niedrigsten Werte, die jemals im Rahmen von PISA gemessen wurden. Wir haben also ein gravierendes Qualitätsproblem im Hinblick auf die zeitgemäße Gestaltung von Bildungsprozessen an den Schulen, vor denen wir nicht die Augen verschließen dürfen.
Hamburg braucht vor diesem Hintergrund dringend neue bildungspolitische Impulse: Unsere Hamburger Schulen müssen zukunftsorientiert weiterentwickelt werden. Wir erwarten in diesem Zusammenhang überzeugende bildungspolitische Konzepte aller demokratischen Parteien, die sich 2025 in Hamburg zu Wahl stellen.
Diese Konzepte müssen berücksichtigen,
- dass sich Schüler:innen mittels sinnhafter Kompetenzorientierung auf dem aktuellen Stand des Wissens halten und kontinuierlich weiterentwickeln.
- dass die notwendigen Impulse für eine konsequent zukunftsgerechte und demokratische Entwicklung des Lernens in unserer Stadt unterstützt werden.
- dass die vielfältigen Potenziale aller Schüler:innen gefördert und die Bildungschancen aller Schüler:innen deutlich verbessert werden.
Ein durchgängiges, modernes Bildungskonzept muss Menschen lebenslang ganzheitlich begleiten. Aus schulischer Sicht leiten wir daraus ab, dass ein intensiveres Zusammenwirken der sozialräumlichen Partner:innen am Ort Schule notwendig ist und konsequent ausgebaut werden muss.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen müssen vor allem vier Voraussetzungen geschaffen werden, um zukunftsfähige Bildung in Hamburg zu gestalten:
- Schüler:innen müssen zukünftig auf die Anforderungen an ein Leben in einer digitalen Welt vorbereitet werden.
Die Welt, in der wir aktuell leben und zukünftig leben werden, ist eine zunehmend digitale und automatisierte Welt. Das Lernen in der Schule muss deshalb grundlegend weiterentwickelt werden, damit Schüler:innen adäquat auf die Anforderungen an das Leben in dieser Welt vorbereitet werden. Wir fordern daher, die Bildungspläne grundlegend zu überarbeiten und konsequent an dem wissenschaftlichen Forschungsstand zu den herausragenden Kompetenzen zu orientieren, die für Schüler:innen in der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts maßgeblich sind. Das heißt konkret, dass die Bildungspläne zukünftig ein Lernen initiieren, mit dem die Schüler:innen ihre Kommunikations- und Kollaborationsfähigkeit sowie Kreativität und kritisches Denken („4K-Kompetenzmodell“) entwickeln.
Die Art und Gestaltung von Prüfungen haben einen großen Einfluss auf die Gestaltung des Lernens und Unterrichts. Neben der Art der Prüfung ist auch die Form der Leistungsrückmeldung an die Lernenden von hoher Bedeutung und wirksam für das Lernen. Um die vielfältigen Zukunftskompetenzen zu fördern, fordern wir, dass diese auch in den Prüfungen nachgewiesen werden können und Schüler:innen eine für sie förderliche Rückmeldung erhalten. Das heißt konkret, dass in den Bildungsplänen Kriterien für vielfältige moderne Prüfungsformate zu beschreiben und im Unterricht zu verankern sind. Das heißt ferner, dass alle Leistungsrückmeldungen von den Lehrkräften an die Lernenden lernförderlich sein und den nächsten Lernschritt für den bzw. die Lernende:n beschreiben müssen. Die im langjährigen Hamburger Schulversuch „alles>>könner“ entwickelten Instrumente zur kompetenzorientierten Leistungsrückmeldung sollen allen Schulgemeinschaften zur Verfügung gestellt werden: Die Schulkonferenzen sollen für die Jahrgangsstufen 5-8 die Form der Leistungsrückmeldung (Noten oder kompetenzorientierte Leistungsrückmeldungen) auswählen können.
- Pädagog:innen an den Schulen brauchen mehr Zeit für die Kooperation und Kommunikation.
Um eine sich stets weiterentwickelnde und auf der Höhe der Zeit befindliche qualitätsvolle Lernkultur an den Schulen zu realisieren und um Menschen mit der Etablierung zeitgemäßer Arbeitsbedingungen für die Arbeit an Schulen zu begeistern, brauchen Pädagoginnen und Pädagogen mehr Zeit für die individuelle Begleitung von Lernenden, die Gestaltung der Erziehungspartnerschaft mit den Eltern und weiteren Akteuren sowie für die Entwicklung und Reflexion von Unterricht, d.h. die Co-Konstruktion von Unterricht.
Dafür müssen Lehr-, Erziehungs- und Leitungskräfte von Verwaltungs- und Administrationsaufgaben deutlich entlastet werden u.a. durch zusätzliche Fachkräfte, stationäre Psychologen an den Schulen, Aufstockung von Verwaltungspersonal sowie IT-Beauftragte. Darüber hinaus sollen die Institutionen des REBBZ und des ASD sowie die weiteren sozialräumlichen Angebote (z. B. OKJA) die Präsenz am „Ort Schule“ und die Zusammenarbeit mit den Schulgemeinschaften vor Ort deutlich ausbauen.
Die vorhandene Arbeitszeit von Pädagoginnen und Pädagogen muss in ihren Anteilen so verändert werden, dass sich der Anteil der eigenen professionellen und der systemischen Weiterentwicklung an die Zeit im Unterricht angleicht und somit als Kernaufgabe definiert wird. Die Behörde muss für diese Zeitbedarfe insgesamt mehr Arbeitszeit für das pädagogische Personal (Lehrkräfte und PTF) bereitstellen.
- Schulen benötigen Planungssicherheit - verlässliche Rahmen- und Zielsetzungen der Politik und mehr Gestaltungsraum, um passgenaue Lösungen vor Ort zu entwickeln.
Die Bündnispartner sind sich einig, dass Planungssicherheit durch verlässliche und tragfähige behördliche Rahmensetzungen einen wichtigen Baustein für die Qualitätsentwicklung des Bildungssystems in Hamburg darstellen. Diese müssen in einem demokratisch-partizipativen Prozess mit der Schulgemeinschaft entwickelt werden. Sie dürfen nicht durch kurzfristige, kleinteilige Eingriffe behördlicherseits verändert oder gar ins Gegenteil verkehrt werden. Vielmehr muss sich die Steuerung auf Ziele und Qualitätsstandards der Bildungsangebote sowie Entwicklungsanreize und Unterstützung für die Schulen konzentrieren.
Die Herausforderungen der Schulen in Hamburg sind in den jeweiligen Bezirken und abhängig von der Schulform sehr unterschiedlich. Verantwortliche Entscheidungen zur Umsetzung müssen deshalb vor Ort getroffen werden. Schulen brauchen passgenaue Gestaltungsräume, um sinnvolle Lösungen für ihre Schüler:innen entwickeln und umsetzen zu können.
- Über die Bildung muss in der Stadt partizipativ diskutiert und demokratisch entschieden werden.
Das Bündnis erwartet in der nächsten Legislaturperiode eine Gesetzesinitiative der Parteien in der Bürgerschaft zur Einrichtung eines Bildungsrats „Schule für Hamburg“ und dessen gesetzliche Verankerung. Das Ziel dabei ist es, einen demokratischen Beteiligungsprozess von Expert:innen aus den Schulgemeinschaften direkt und stärker als bisher in den Dialog mit den schulpolitischen Akteuren einzubeziehen.
Aufgabe des Bildungsrats Schule ist die Entwicklung von mittel- und langfristigen Perspektiven des Hamburgischen Schulwesens. Er soll auch konkrete Maßnahmen erörtern und empfehlen, die geeignet sind, die Schulen in Hamburg zukunftsfähiger zu gestalten. Nur so lässt sich die Qualität der schulischen Bildung in Hamburg nachhaltig und praxisorientiert weiterentwickeln und sicherstellen. Im Bildungsrat „Schule für Hamburg“ sollen neben den Vertreter:innen der in der Bürgerschaft vertretenen demokratischen Parteien, die Kammern gemäß des Hamburgischen Schulgesetzes, die Schulleitungs- und weitere Bildungsverbände - wie etwa die Gemeinschaft der Elternräte an Stadtteilschulen - und die Gewerkschaften zusammenarbeiten.
Bündnis zukunftsfähige Schulen Hamburg, Januar 2025
Mitglieder im Bündnis sind:
SchülerInnenkammer Hamburg
Elternkammer Hamburg
Lehrerkammer Hamburg
Vereinigung der Leitungen der Hamburger Gymnasien und Studienseminare VLHGS
Verband Hamburger Schulleitungen
Vereinigung der Schulleiter/innen der Hamburger Stadtteilschulen in der GGG
GGG Hamburg – Verband für Stadtteilschulen
GEW Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hamburg
Grundschulverband Hamburg
Gemeinschaft der Elternräte an Stadtteilschulen in Hamburg
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