Undemokratisch bis zur Verfassungswidrigkeit

Das Hamburgische Hochschulgesetz ist dringend reformbedürftig

von Barbara Scholand und Fredrik Dehnerdt

Das Hamburgische Hochschulgesetz (HmbHG) von 2003 muss grundlegend reformiert werden. Die damals neu eingeführten Leitungsstrukturen führten zu massiven Problemen und Protesten in der Praxis, letztere gipfelten in der Abberufung der Universitätspräsidentin Auweter-Kurz im Juli 2009 sowie in massivem Widerstand gegen die Wahl des neuen Präsidenten Dieter Lenzen. Seitens des Bundesverfassungsgerichts wurde das bestehende Gesetz bereits Ende 2010 für teilweise verfassungswidrig erklärt. Seitdem steht die Novellierung aus. Hier ein Rückblick auf die Entstehung des zur Zeit noch gültigen HmbHG, der die Bedeutung der am Ende des Artikels skizzierten Position der GEW unterstreicht.

 

Das Wissenschaftsförderungsgesetz von 2003 – Entmachtung der Gremien und Einführung des Hochschulrats

Eingeleitet wurde die Hochschulstrukturreform in Hamburg unter einer seit 2001 regierenden Koalition von CDU, FDP und Schill-Partei. Die von Senator Jörg Dräger eingesetzte Dohnanyi-Kommission (2003) empfahl eine Reihe von wirtschaftsfreundlichen Neuerungen. Der Gesetzesentwurf der Behörde folgte diesen Vorschlägen weitgehend. Das wenige Monate danach von der Hamburgischen Bürgerschaft verabschiedete Wissenschaftsförderungsgesetz, führte zu neuen Gremien- und Leitungsstrukturen. Diese Reorganisation war ganz im Sinne des CHE, des Wissenschaftsrates und des Stifterverbandes (vgl. Hauer & Rogalla, 2009; Dehnerdt, 2005), d.h. wissenschaftsfremden Organisationen wurden Mitentscheidungsbefugnisse eingeräumt. Wie und wo geschieht die Einflussnahme der Wirtschaft?

Im neu eingeführten Gremium „Hochschulrat“, die Entscheidungs- und Beratungskompetenzen bei Themen und Gegenständen bekommen, die bisher bei der Hochschule (z.B. Wahl der Präsident_in) und bei der Behörde (z.B. Genehmigung der Grundordnung) angesiedelt waren. Die Mitglieder des Hochschulrates werden zu gleichen Teilen von der Hochschule und von der Behörde bestimmt und wählen als weiteres Mitglied eine_n Vorsitzende_n. Abgeschafft wurde in Folge dessen der Große Senat (Konzil); dem Akademischen Senat als neuem höchsten Gremium der akademischen Selbstverwaltung wurden fast alle beschlussfassenden Kompetenzen entzogen und seine Funktion auf das Recht zur Stellungnahme oder Bestätigung reduziert (z.B. bei der Wahl der Präsident_in). Gleichzeitig wurden alle Selbstverwaltungsgremien unterhalb der neu eingeführten Fakultäten, so auch die bisher bestehenden 18 Fachbereichsräte, abgeschafft und ein Selbstverwaltungsverbot für die sogenannten „3. Ebene“ gesetzlich normiert.

Die neuen Leitungs- und Entscheidungsstruktur führte in der Praxis zu mehreren Krisen, die im Folgenden dargestellt werden.

 

Widerstand ist zwecklos? Die Demission von Präsidentin Auweter-Kurz

Ende 2006 wurde in Nachfolge des langjährigen Präsidenten Dr. Jürgen Lütje Prof. Dr. Monika Auweter-Kurtz durch den Hochschulrat zur neuen Präsidentin der Universität Hamburg gewählt. Trotz der institutionell enormen Machtfülle gelang es ihr jedoch nicht, innerhalb der neuen Steuerungsstrukturen so zu agieren, dass ihre Entscheidungen von den Hochschulangehörigen akzeptiert und umgesetzt wurden. Stattdessen schaffte sie es in kürzester Zeit, alle Statusgruppen der Universität dermaßen gegen sich aufzubringen, dass sie nicht im Amt zu halten war.

Im Mai 2009 verweigert Auweter-Kurtz ohne Angabe von Gründen ihre erforderliche Zustimmung zur Ernennung eines neuen Dekans, im Mai wurde im Akademischen Senat massive Kritik an diesem Vorgang geäußert. Im Juni kritisieren fünf der sechs Dekan_innen der Fakultäten der Universität Hamburg den Führungsstil der Präsidentin und fordern sie zum Rücktritt auf, am 10. Juni stellen sich bereits 120 Professor_innen hinter diese Forderung. Allein der Hochschulrat stellte sich in einer Stellungnahme noch hinter sie. Ende Juni unterbreitete die Senatorin der Präsidentin ein Angebot, ihren Vertrag in wechselseitigem Einvernehmen aufzulösen. Zwar war dies eine Kompetenzüberschreitung, da das Recht der Abwahl laut Gesetz beim Hochschulrat liegt, dennoch schied die Präsidentin der Universität Hamburg mit Ablauf des 8. Juli 2009 aus ihrem Amt aus. Grund für ihre Demission war dabei ihre Weigerung, die in den Gremien artikulierten Ansprüche und Interessen angemessen zu würdigen und in ihre Entscheidungsfindung mit einzubeziehen.

Nach Absicht der Behörde und des Hochschulrates sollte die neue Präsidentin die Strukturreform konsequent umsetzen. Der von ihr betriebene stark autoritär geprägte Top-down-Führungsstil und ihre die Mitbestimmungskultur an der Universität von Beginn an missachtende Haltung lösten jedoch so massive Empörung unter den Mitgliedern der Hochschule aus, dass sie nach nur drei Jahren im Amt zurücktreten musste bzw. abberufen wurde, weil sie politisch nicht mehr haltbar war.

 

„Dieter Lenzen – not our president“

Ende 2009 haben über 1.000 Studierende, aber auch andere Mitglieder der Universität Hamburg die Sitzung des Akademischen Senats besucht, um sich an der Debatte um die Wahl einer/eines neuen Präsidentin/Präsidenten zu beteiligen und ein demokratisches Verfahren einzufordern. Dort sollte der amtierende Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen durch den Hochschulrat zum Präsidenten gewählt und direkt im Anschluss durch den akademischen Senat bestätigt werden. Durch massives studentisches Engagement wurde die Sitzung des akademischen Senats in das besetzte Audimax verlegt, jedoch nach kurzer Zeit abgebrochen und auf unbestimmte Zeit vertagt. Kurz darauf trafen sich beide Gremien unter Ausschluss der Öffentlichkeit im DESY und ernannten dort Dieter Lenzen zum Präsidenten der Universität. Die GEW stellte damals fest, dass sie „das Verfahren für falsch, [und] den Kandidaten für ungeeignet“ hält (Beschluss der LVV der GEW vom 23.11.2009, hlz 12/2009). Diese Ereignisse führten schließlich auch in der Behörde zu der Einsicht, dass es vernünftiger sei, bei den Steuerungsstrukturen ‚nachzubessern‘.

 

Von der Glanzfassade zur Ruine: Die ‚Reform der Reform’ der CDU/GAL-Regierung

In Folge der Krise an der Universität Hamburg wurde von der Behörde für Wissenschaft und Forschung eine Kommission zur Evaluierung des Hochschulgesetzes von 2003 eingesetzt und eine Gesetzesänderung vorbereitet mit dem Ziel, die bestehende unternehmerische Steuerungsstruktur um partizipative Elemente zu ergänzen.

Im Dezember 2009, sechs Monate nach Abberufung der Präsidentin, setzte die damalige Wissenschaftssenatorin Gundelach eine Kommission zur Evaluierung des Hamburgischen Hochschulgesetzes (HmbHG) ein, welche im Juli 2010 ihre Empfehlungen vorlegte. Im November legte die Behörde einen Gesetzesentwurf vor, der einige Zugeständnisse an die Selbstverwaltung, wie die Wiedereinführung einer dritten Ebene, vorsah und die Rolle des Hochschulrates schwächte, insgesamt aber das Präsidium stärkte (hlz 10-11/2010). Das Gesetz sollte – so der Plan der Behörde – Anfang 2011 von der Bürgerschaft beschlossen werden. Doch eine weitere Krise bereiteten dem Gesetzesentwurf ein frühes Ende: Ende 2010 zerbrach die schwarz-grüne Koalition und wurde bei der Neuwahl im Februar 2011 durch eine SPD-Regierung ersetzt.

 

Hochschulgesetz in Teilen verfassungswidrig

Ein weiteres Symptom der Krise des neuen Steuerungsmodells stellt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes dar, das im Dezember 2010 Teile des Hamburgischen Hochschulgesetzes (HmbHG) für verfassungswidrig erklärte.

Nachdem ein Hamburger Professor 2005 eine Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung der Wissenschaftsfreiheit durch die neuen Hochschulstrukturen eingereicht hatte, hat das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2010 der Beschwerde teilweise entsprochen: Die Regelungen über Bestellung und Kompetenzen des Dekanats würden den Anforderungen der Wissenschaftsfreiheit (§ 5 Abs. 3 Satz 1 GG) nicht gerecht und verletzten die Rechte der Grundrechtsträger der Wissenschaftsfreiheit, d.h. der Professor_innen. In Übereinstimmung mit dem Hochschulurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973, das die Professor_innenmehrheit für die Gruppenhochschule normierte, werden in diesem Urteil der unternehmerischen Hochschule ihre rechtlichen Grenzen aufgezeigt (hlz 12/2010). Auch von verfassungsrechtlicher Seite besteht somit Handlungszwang.

 

Regierungswechsel – Neuanfang in der Wissenschafts- und Hochschulpolitik?

Die neue SPD-Alleinregierung stellte mit Regierungsantritt im Februar 2011 ein vollmundiges Regierungsprogramm vor, in dem sich unter dem Abschnitt „Hochschulgesetz reformieren“ die Ankündigung findet: „Unter sozialdemokratischer Verantwortung werden die gewählten Hochschulgremien die Entscheidungskompetenz über grundlegende Fragen wie z.B. die Wahl der Hochschulpräsidenten und Kanzler zurückerlangen“. Dem entsprechend stellt die GEW in ihrem Wissenschaftspolitisches Programm fest: Die „Legitimation handlungsfähiger Leitungen [kann] im Grundsatz nur durch alle Mitglieder der Hochschulen ‚von unten nach oben‘ erfolgen.“ Die GEW erwartet seitdem von der Behörde, die angekündigten Punkte umzusetzen (hlz 8-9/2011).

 

Wissenschaft demokratisieren, Selbstverwaltung stärken

Aus Sicht der GEW ergeben sich in Bezug auf die Stärkung der Selbstverwaltung folgende vier Eckpunkte für eine Novellierung des Hamburger Hochschulgesetzes: Erstens müssen die Leitungsfunktionen „von unten nach oben“ legitimiert, zweitens die Entscheidungskompetenzen der Selbstverwaltungsorgane gestärkt, drittens die Organisation der Fakultäten flexibel gestaltet und viertens eine erweiterte gruppenparitätische Mitbestimmung gesetzlich verankern werden. Ein Novellierungsentwurf der Wissenschaftssenatorin Dr. Dorothee Stapelfeldt steht noch aus. Die GEW hat hierfür konkrete Forderungen erstellt und wird diese in den Reformprozess einbringen.