Wo man sich im Bildungsbereich auch umschaut, heißt es: „Das evaluieren wir mal eben.“ Doch was bedeutet Evaluation eigentlich – und was ist nur „Evaluitis“? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Schwerpunkt „Schule und Evaluation“* in Heft 2/2016 der Deutschen Schule (DDS), die der GEW-Hauptvorstand herausgibt.
Evaluation wird „von oben“ gefordert – Bildungsinstitutionen werden zur Fremdevaluation durch Beschlüsse und Verordnungen der Behörden verpflichtet. Und sie wird „von unten“ erwartet: Bildungssuchende bzw. deren Eltern orientieren sich beispielsweise gerne an Rankings etc. Und nicht zuletzt wird Evaluation „von innen“ gewollt: Bildungseinrichtungen verpflichten sich „freiwillig“ zur Selbstevaluation.
Nicht verdient
Doch unter dem Label „Evaluation“ kommt – und nicht nur im Bildungswesen – so manches daher, das diesen Namen nicht unbedingt verdient: Zum Beispiel: Schulprogrammarbeit, Schulinspektionen, Vergleichsarbeiten (VERA z. B.) – Verfahren, die der Überprüfung, der Kontrolle und der Rechenschaftslegung nützen. Doch sie sind deshalb noch lange keine „Evaluation“. Denn beim Evaluieren – im Sinne des Wortes, aber auch nach Meinung der Fachgesellschaften – geht es gerade nicht nur darum, einen Ist-Zustand festzustellen und seine Entfernung vom angestrebten Soll-Zustand – z. B. einem Bildungsziel – auszuwerten, also: wie weit weg – wie nah dran. Vielmehr geht es ebenso um förderndes (Be-) Werten. „Valere“ (lat.) bedeutet wörtlich „stark sein“, „wert sein“. Evaluieren soll einen Stärke-Stand – etwa geforderter Veränderungen – ermitteln, um danach ein noch besseres Niveau zu erzielen: Das heißt, Evaluationen haben den Zweck herauszufinden, inwieweit der Soll-Zustand – z. B. der Umsetzung von Reformen – schon erreicht worden ist und wie dies künftig noch besser gelingen kann. Nicht zuletzt: Evaluieren soll Schule, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler stark machen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, hat die Deutsche Gesellschaft für Evaluation (DeGEval) 2002 Standards für Evaluationen veröffentlicht, die unter anderem verlangen, deren Qualität zu sichern. Und noch etwas anderes gilt es zu bedenken: Oft sind die Vorstellungen und Erwartungen, die unterschiedliche Akteure, insbesondere Auftraggeber, mit Evaluationen verbinden, nicht realistisch. Denn von quasi-experimentellen Untersuchungen erhofft man sich den Nachweis einfacher kausaler Zusammenhänge, die so im pädagogischen Feld kaum zu finden sind. Insofern kann man rein quantitative Messverfahren kaum als „echte“ Evaluationen bezeichnen. Über „Werte“ und „Stärken“ – einer Methodik oder eines Schulprogramms etwa – können solche Verfahren inhaltlich nichts aussagen. Denn ohne die Beurteilung der beteiligten Akteure bleiben Befunde leer und wirkungslos.
Sinnvolles Verfahren
Als sinnvoll hingegen erweist sich das Verfahren der Programmevaluation. Eine Überprüfung, die exakt an die Vorgaben eines „Programmes“ anknüpft; das kann ein Schul- oder Jahrgangsprojekt, die Neukonzeption von Unterricht, die Einführung neuer Medien oder einer Willkommensklasse für Flüchtlinge sein. Die Evaluierenden gehen dabei in ihrer Interpretation von den konkreten Absichten und Zielen beispielsweise eines Schulkonzeptes aus. Sie begleiten die Akteure bei der Organisation ihres Verfahrens und können auf konkrete Veränderungen (z. B. andere Teamzusammensetzung, Wegfall von Ressourcen) sofort reagieren, die Anforderungen neu formulieren und das Programm an diese angleichen. Nicht zuletzt können Probleme und Schwierigkeiten, die beispielsweise in Interviews mit den Beteiligten auftauchen, in die Expertise einbezogen und ggf. dem anvisierten Soll-Zustand realistisch angepasst werden (Giel 2013; Pawson/ Tilley 2004). Betrachten alle Beteiligten das Evaluieren aus dieser Perspektive, mag die „Ansteckung“ tatsächlich heilsam sein.
Sylvia Schütze, Leiterin der Geschäftsstelle der DDS
*Abstracts zu den Beiträgen der Deutschen Schule sowie Bestellmöglichkeiten finden Sie unter: www.dds-home.de Literaturhinweise und Links: DeGEval (2002): Standards für Evaluation. Köln: Geschäftsstelle. Mehr Infos: http://www.degeval.de/home/. Giel, S. (2013): Theoriebasierte Evaluation. Konzepte und methodische Umsetzungen. Münster u. a. Pawson, R./Tilley, N. (72004): Realistic Evaluation. London u. a.
Der Artikel erschien in der E&W 09/2016